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Toni Pfülf (1877–1933)

Einsichten und Perspektiven 2 | 17

vernanten und Dienern; doch anders als ihre zwei Jahre

ältere Schwester erscheint Toni von klein auf als unange-

passt, entwickelt anscheinend schon früh Kampfgeist. Mit

19 setzt sie gegen den Willen der Eltern ihren Wunsch,

Lehrerin zu werden, in die Tat um und macht sich offenbar

eigenständig auf den Weg nach München. Ein Universi-

tätsstudium war Frauen zu dieser Zeit in Bayern (bis 1903)

noch verwehrt; sie besucht also das Lehrerinnenseminar.

Nach dem Examen, das sie glänzend besteht, geht es 1902

zunächst als „Verweserin“ (Vertretungslehrerin) hinaus aufs

Land. Oberammergau, Lechhausen und Peiting sind die

Stationen, bevor sie 1907 eine Anstellung an der Volks­

hauptschule in München-Milbertshofen bekommt.

5

In der Zwischenzeit ist auch die Familie Pfülf in Mün-

chen ansässig geworden, wo der Vater als Vorstand der

Armeebibliothek tätig ist. 1901 bezieht man eine Woh-

nung in der Akademiestraße, in der auch Toni zeitweise

gemeldet ist. 1907 erfolgt ein Umzug in die Königin-

straße; die Wohnung der Eltern darf Toni jedoch nicht

mehr betreten, als sie erfahren, dass ihre Tochter sich

den Sozialdemokraten angeschlossen hat. Sie kämpft für

Chancengleichheit und Verbesserungen im Bildungswe-

sen. Doch schon bald nach ihrer offiziellen Ernennung

zur Lehrerin im September 1910 macht ihr eine Tuber-

kuloseerkrankung, die sie sich als Hilfslehrerin auf dem

Land zugezogen hatte, so schwer zu schaffen, dass sie in

den nächsten zehn Jahren aus gesundheitlichen Gründen

immer wieder in zeitweiligen Ruhestand versetzt wird und

nicht mehr selbst unterrichtet.

„Keine Revolutionierung der Geister, wenn Sie die

Jugend nicht haben!“

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs, im Juli 1914, ruft

die SPD zum Massenprotest gegen die Bewilligung von

Kriegskrediten auf; auch die überzeugte Kriegsgegnerin

Toni Pfülf vertritt diese Position. Doch während sie in den

innerparteilichen Diskussionen für eine Stimmenthaltung

der SPD in dieser Frage plädiert,

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macht die Reichstags-

Fraktion in Berlin eine 180-Grad-Wende und stimmt den

Krediten zu. Während des Krieges engagiert Toni Pfülf

sich ehrenamtlich als Armen- und Waisenrätin, küm-

mert sich um in Not geratene Familien. Bei Ausbruch der

Revolution im November 1918 wird sie Vorsitzende des

5 Dort war sie von 1907-1910 angestellt, siehe Personalact der Pfülf Anto-

nie (Hauptlehrer) der Regierung von Oberbayern (StA München), Beurtei-

lungsbogen.

6 (Michael Schröder:) Toni Pfülf 1877–1933. Bayerisches Seminar für Politik e.V.

1984, S. 5.

Bundes sozialistischer Frauen, den sie mitgegründet hat.

Hingegen ist sie nicht Mitglied im Landesarbeiterrat, wie

verschiedentlich zu lesen ist. Einziges weibliches Mitglied

dort war vielmehr die Münchnerin Hedwig Kämpfer.

7

Emil Holzapfel erzählt in seinen Erinnerungen aus

den 1980er Jahren, wie Toni Pfülf Ende November 1918

uneingeladen den Mathäser-Festsaal betreten habe, wo

der Arbeiter- und Soldatenrat tagte, dem ausschließlich

Männer angehört hätten. Sitzungsleiter Erich Mühsam

habe sie aufgefordert, die Sitzung zu verlassen. Sie habe

sich energisch gewehrt und gesagt: „Man kann mich nur

mit Gewalt aus dem Sitzungssaal befördern, denn ich

habe hier im Arbeiter- und Soldatenrat die Interessen der

Frauen zu vertreten!“ Die anwesenden Arbeiter- und Sol-

datenräte hätten abgestimmt und mit knapper Mehrheit

beschlossen, Toni Pfülf nicht in das Gremium zuzulas-

sen.

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Auch so eine Geschichte, bei der offen bleibt, inwieweit

sie den Tatsachen genau entspricht. Das erste Spitzengre-

mium der Arbeiterräte in Bayern war der in der Revoluti-

onsnacht am 7. November 1918 im Mathäserbräu gebil-

dete „Revolutionäre Arbeiterrat“. Ihm gehörten drei Frauen

an: Viktoria Gärtner, Hedwig Kämpfer, Agnes Loser, alle

USPD. Unter den insgesamt 72 Mitgliedern war auch der

Schriftsteller Erich Mühsam, jedoch ohne leitende Funk-

tion. Der Münchner Arbeiterrat bildete sich erst später, am

7. Dezember 1918. Hier saß Hedwig Kämpfer als Schrift-

führerin im Vorstand, auch dies war also kein reines Män-

nergremium.

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Toni Pfülfs Name findet sich in keinem Mitgliederver-

zeichnis eines Räte-Gremiums. Indes wird sie – zusam-

men mit vier weiteren Frauen – am 8. Dezember 1918

als Delegierte des Münchner Arbeiterrates gewählt

10

und

nimmt in dieser Eigenschaft an der Versammlung des

Zentralarbeiterrates der Revolutionäre am 10. Dezember

teil. Und hier ergreift Pfülf in offenherziger, kämpferi-

7 Georg Köglmeier: Landesarbeiterrat, 1918/19, publiziert am 22.11.2012;

in: Historisches Lexikon Bayerns: https://www.historisches-lexikon-bayerns. de/Lexikon/Landesarbeiterrat, 1918/19 [Stand: 01.05.2017].

8 Der rote Emil (wie Anm. 2) S. 110 f.

9 Vgl. Georg Köglmeier: Die Zentralen Rätegremien in Bayern 1918/19.

Legitimation – Organisation – Funktion, München 2001, S. 85-116 (bes.

103) und S. 434–438. Emil Holzapfel war nach eigenen Angaben als Lehr-

ling jüngstes Mitglied im Arbeiter- und Soldatenrat, vgl. Der rote Emil

(wie Anm. 1) S. 37. Ob dies zutrifft und ob es außer Hedwig Kämpfer

noch weitere Frauen gab, lässt sich durch Köglmeiers Untersuchung nicht

überprüfen, da das Gremium über 400 Mitglieder umfasste, die nicht na-

mentlich verzeichnet sind.

10 Köglmeier (wie Anm. 9), S. 122 ( Anm. 245).