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Einsichten und Perspektiven 4 | 17
einschränkenden Bedingungen können inhaltlicher Natur
sein oder einen personellen Wechsel als Kriterium für eine
Zusammenarbeit fordern.
Wie stand es nun um die Koalitionssignale im Wahl-
kampf vor der Bundestagswahl 2017? Tatsächlich gab es
vor dieser Wahl eine ungewöhnlich offene Situation.
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Die Parteien haben erkennbar aus den unübersichtlichen
und teilweise blockierten Situationen in einigen Land-
tagswahlen ihre Lehren gezogen, indem sie so gut wie
keine Koalitionen mehr ausschließen wollten. Die par-
teiübergreifende Formel dafür lautete, dass Gespräche
mit allen demokratischen Parteien möglich sein müssen.
Unisono wurde damit die AfD ausgeschlossen, der man
eine mangelnde Abgrenzung gegenüber reaktionären
und rechtsextremistischen Gedankengut und Organisa-
tionszusammenhängen vorwarf.
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Für CDU/CSU und
FDP kamen aber ebenso Gespräche mit der Linkspartei,
die als linksextremistische Partei begriffen wird, nicht in
Frage. Über alle anderen Konstellationen lässt sich somit
zumindest sprechen, selbst wenn in der zunehmenden
Wahlkampfhitze einige Bündnisoptionen rhetorisch abge-
kanzelt wurden: So sah FDP-Spitzenkandidat Christian
Lindner zu wenig Gemeinsamkeiten für eine Ampelko-
alition mit SPD und Grünen, während SPD und Links-
partei sich gegenseitig vorwarfen, ein eigentlich denkbares
rot-rot-grünes Bündnis zu verhindern. Die Parteitage von
FDP und Grünen eine Woche vor der Wahl hielten beide
den Kurs der Offenheit bei, obwohl gerade innerhalb
der Grünen aufgrund schwacher Umfrageergebnisse der
Druck auf die Parteiführung zunahm, eine Absage an ein
Jamaika-Bündnis zu formulieren.
Um dem Vorwurf der Beliebigkeit zu begegnen, legten
die Parteien allerdings aus ihren umfangreichen Wahlpro-
grammen verdichtete Forderungskataloge vor, welche sie als
K.O.-Kriterien oder rote Linien etikettierten. Gerade die
kleinen Parteien stützten sich erkennbar auf diese Strategie,
um später nicht als bloßer Mehrheitsbeschaffer diskreditiert
zu werden. Bündnis 90/Die Grünen destillierten aus ihrem
Programm einen „Zehn-Punkte-Plan für grünes Regieren“,
59 Vgl. Volker Best: Von der „Ausschließeritis“ über die „Ausschweigeritis“
zur „Konditionitis“ – Koalitionssignale vor der Bundestagswahl 2017,
abrufbar unter:
http://regierungsforschung.de/von-der-ausschliesseritis-ueber-die-ausschweigeritis-zur-konditionitis-koalitionssignale-vor-der-
bundestagswahl-2017 [Stand: 20.09.2017]
60 Vgl. CDU-Generalsekretär Peter Tauber: AfD ist eine Anti-Deutschland-
Partei, abrufbar unter:
https://www.cdu.de/artikel/tauber-afd-ist-eine-anti-deutschland-partei [Stand: 02.05.2016] oder SPD-Vorsitzender Sig-
mar Gabriel: AfD ist offen rassistisch,
https://www.spd.de/aktuelles/detail/news/afd-ist-offen-rassistisch/17/02/2016/ [Stand: 17.02.2016].
die FDP beschloss auf ihrem Parteitag eine Woche vor der
Wahl zehn „Trendwenden für Deutschland“, ohne welche
sie nicht in eine Regierung eintreten will. Für die CSU stand
vor allem der Begriff der „Obergrenze“ im Mittelpunkt.
Zusätzlich zu dem gemeinsam mit der CDU verfassten
Wahlprogramm legte man einen eigenen „Bayernplan“ vor,
in welchem dargelegt wurde, dass eine Regierungsbeteili-
gung an eine Begrenzung der Zuwanderung zu knüpfen sei.
Abschottung und Öffnung
Nicht nur gelang der AfD 2017 der Einzug in den Bun-
destag, sie überholte FDP, Grüne und Linkspartei und
wurde drittstärkste Kraft. Erstmals seit den 1950er Jahren
sind wieder sechs Fraktionen im Deutschen Bundestag
vertreten. Einher geht das mit einem deutlichen Domi-
nanzverlust von CDU/CSU und SPD, die gemeinsam
von nur noch knapp über 50 Prozent der Wahlberechtig-
ten ihre Stimme erhielten – ein historischer Tiefstand. Die
Suche nach Mehrheiten wird dadurch schwieriger.
Wie sich die AfD als Fraktion im Bundestag positio-
niert, muss sich noch herausstellen. Wie bereits geschil-
dert, setzt sich die neue Partei aus unterschiedlichen Strö-
mungen zusammen. Die parlamentarischen Vertretungen
in den Landtagen verfügen über divergierende inhaltliche
Profile wie Vorstellungen von der Rolle als Opposition.
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So oder so will die AfD nicht mit anderen Parteien koope-
rieren und auch die anderen Parteien erachten die AfD
nicht als regierungsfähig. Dennoch wirkt sie sich – mit
ihren fast 13 Prozent und 94 Sitzen – eben auf die Koaliti-
onsstrategien der Etablierten aus, indem diese eine Mehr-
heit unabhängig von ihr organisieren müssen.
Interessanterweise ergibt sich hierdurch eine gegen-
läufige Bewegung, was die parlamentarische Segmentie-
rung angeht. Einerseits steigt durch die AfD-Fraktion
die Abschottung oder Segmentierung, andererseits sinkt
sie wiederum durch die spürbare Annäherung von CDU,
CSU, FDP und Grünen, die nun erstmals ernsthaft über
eine Zusammenarbeit sprachen.
Eine wohl vor allem auf die aktuelle Wahl bezogene
Besonderheit ist die deutliche Absage der SPD an eine
Große Koalition, die der Spitzenkandidat Martin Schulz
amWahlabend unter Eindruck des für die Partei schockie-
renden Wahlergebnisses formulierte, für welche sich in der
Folge aber auch viele anderen SPD-Spitzenpolitiker stark
61 Vgl. Wolfgang Schroeder/Bernhard Weßels/Christian Neusser/Alexander
Berzel: Parlamentarische Praxis der AfD in deutschen Landesparlamenten,
abrufbar unter:
https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2017/v17-102.pdf[Stand:
Juni 2017].
Wahlnachlese 2017