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Einsichten und Perspektiven 4 | 17

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und ihr Institutionalisierungsprozess, bevor sie in das

nationale Parlamente eintrat?

Vor dem Hintergrund, dass die Institutionalisierung

einer neuen Partei im stabilen nationalen Parteiensystem

Deutschlands nach 1980 nur zweimal erfolgreich gelang

(Bündnis 90/Die Grünen; Die Linke), erscheint der Blick

auf den Institutionalisierungsprozess der AfD besonders

interessant. Denn viele junge deutsche Parteien wie die

Piratenpartei zerbrachen an innerorganisationalen Prob-

lemen, an Faktionalismus oder mangelnder Verankerung

in der Gesellschaft; die AfD hingegen überstand bislang

zunächst selbst das Zerwürfnis mit Parteimitbegründer

Bernd Lucke im Jahr 2015. Deutlich schneller und auch

deutlich erfolgreicher als noch die Piraten, konnte sich

die Partei als Akteur auf der nationalen politischen Bühne

positionieren.

Die Parteieninstitutionalisierungsforschung zeigt, dass

dieser Moment im Lebenszyklus einer Partei

48

– der Ein-

tritt in ein nationales Parlament – besondere Anforderun-

gen an junge Parteien stellt (sei es in organisatorischer,

personeller, programmatischer oder kommunikativer

Hinsicht).

49

Der Genese und den Institutionalisierungs-

schritten im Vorfeld des Eintritts in das nationale Parla-

ment wird für das Standhalten dieser Anforderungen und

für den weiteren Erfolg der Partei (im Sinne von Wettbe-

werbsfähigkeit) besondere Bedeutung zugesprochen.

50

Vor

allem objektive Aspekte wie die Organisationsausbildung

der Partei (auch auf untergeordneten Ebenen), interne

Aspekte der Institutionalisierung wie die Routinisierung

von Entscheidungsstrukturen und -prozessen, sowie

externe Aspekte wie die Wahrnehmung der Partei durch

Dritte und die Verankerung der Partei in der Gesellschaft

entscheiden darüber, ob eine neue Partei sich etabliert.

Zwar hat die AfD diese Dimensionen der Institutio-

nalisierung bislang nicht in gleichem Maße ausgebildet,

47 Vgl. Angelo Panebianco: Political Parties. Organization and Power, Cam-

bridge 1988.

48 Vgl. Mogens N. Pedersen: Towards a New Typology of Party Lifespans and

Minor Parties, in: Scandinavian Political Studies 5, 1/1982, S. 1–16. vgl.

ders.: The Birth, the Life, and the Death of Small Parties in Danish Politics.

An Application of the Lifespan Model, in: Ferdinand Müller-Rommel (Hg.):

Small parties in Western Europe. Comparative and national perspectives,

London 1991, S. 95–115.

49 Vgl. Nicole Bolleyer: New Parties in Old Party Systems. Persistence and

Decline in Seventeen Democracies, Oxford 2013.; vgl. Nicole Bolleyer/Eve-

lyn Bytzek: New party performance after breakthrough, in: Party Politics

23/2016, H. 6, S. 772–782.; vgl. Lefkofridi/Weissenbach (wie Anm. 32).

50 Vgl. Panebianco (wie Anm. 47); vgl. Kristina Weissenbach: Political party

assistance in transition. The German ‘Stiftungen’ in sub-Saharan Africa,

in: Democratization 17, 6/2010, S. 1225–1249; vgl. David Arter: When

new party X has the ‘X factor’, in: Party Politics 22, 1/2014, S. 15–26.

dennoch befindet sich die Partei trotz ihres jungen Alters

in einem fortgeschrittenen Institutionalisierungsstadium.

So gründete sich die Alternative für Deutschland,

gemäß der vergleichsweise hohen formalen Gründungs-

anforderungen in Deutschland,

51

zwar als komplett neue

Partei, folgte dabei aber dem Prinzip der Diffusion. Das

heißt, sie generierte ihre personellen und materiellen Res-

sourcen seit dem Jahr 2010 aus verschiedenen Vorläu-

fern und Sammlungsbewegungen rund um den Verein

„Wahlalternative 2013“ von Bernd Lucke und Konrad

Adam. Auf dem Gründungsparteitag am 14. April 2013

wurden Personen und Programmatik (vor allem der wirt-

schaftsliberale und eurokritische Kurs) des Vereins in die

Parteistruktur der Alternative für Deutschland überführt.

Parteien, die bei ihrer Gründung eher der Diffusion und

Bottom-up-Prozessen folgen, tendieren dazu schwach

ausgeprägte Organisationsstrukturen zu entwickeln, die

häufig durch konkurrierende Gruppen geprägt sind.

52

Dieser theoretische Befund aus der Parteienforschung

spiegelt sich in den empirischen Eindrücken der Genese

und Institutionalisierung der AfD wieder: Mit der Grün-

dung der sechzehn Landesverbände zwischen März und

Mai 2013 gelang zwar in einigen Bundesländern ein gere-

gelter Aufbau, in anderen kam es jedoch rasch zu inter-

nen Konflikten.

53

Diesem genetischen Weg folgend, hat

die AfD zunächst die Veranlagung zu einer schwach ins-

titutionalisierten Organisation, die Sammlungsbecken

für viele heterogene Gruppierungen ist, nur schwierig

geschlossen auftreten kann und personelle wie program-

matische Spaltungstendenzen aufweist. Dem entspricht

die Entwicklung der Partei seit den Landtagswahlen

2014: starke innerparteiliche Auseinandersetzungen und

Führungskonflikte (zunächst v.a. zwischen Bernd Lucke

51 Die Anmeldung einer neuen Partei beim Bundeswahlleiter setzt auch im

europäischen Vergleich hohe Standards voraus. Eine gefestigte Organisati-

on ist Bedingung, es muss eine Satzung und ein Parteiprogramm vorhan-

den sein. Aufgrund dessen sind deutsche Parteien bereits in einem frühen

Stadium naturgemäß formal stärker organisiert als beispielsweise Parteien

in jungen Demokratien, vgl. Weissenbach (wie Anm. 50), S.1232 f.

52 Dem entgegen steht das Prinzip der „

penetration

“ (Panebianco wie Anm.

47), d.h. der eher zentrale Organisationsaufbau einer neuen Partei von

oben nach unten, der in der Regel zunächst zu einer starken Organisati-

onsstruktur führt. Eine kohärent auftretende Parteielite ist hier von Be-

ginn an fähig, Entscheidungsprozesse zu initiieren und zu steuern; vgl.

ebd., S. 63.

53 Vgl. Alexander Häusler (Hg.): Die Alternative für Deutschland. Program-

matik, Entwicklung und politische Verortung, Wiesbaden 2016.; vgl.

Anne Böhmer/Kristina Weissenbach: Gekommen um zu bleiben? Zum

Zusammenhang des Institutionalisierungsprozess der AfD und ihren Er-

folgschancen nach der Bundestagswahl 2017, in: Karl-Rudolf Korte/Jan

Schoofs (Hg.): Die Bundestagswahl 2017. Analysen der Wahl-, Parteien-,

Kommunikations- und Regierungsforschung, Wiesbaden 2018 (i.E.).

Wahlnachlese 2017