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Ein Interview mit Prof. Dr. Christoph K. Neumann
Einsichten und Perspektiven 3 | 16
wie in Cizre, wie in der Innenstadt von Diyarbakır, wie
in Şırnak nicht mehr gibt. Das ist vielleicht der Grund
dafür, dass über diese Gegend nicht mehr so viel berich-
tet wird. Auf der anderen Seite vergeht ja kein Tag, an
dem kein Anschlag auf einen Militärtransport, bei dem
ein türkischer Soldat stirbt, passiert. Das kommt in unsere
Medien gar nicht mehr hinein. Dort passiert es aber dau-
ernd. Was man nicht so häufig liest, ist auch, was mit kur-
dischen Kämpfern passiert oder mit Leuten, die als kurdi-
sche Kämpfer verdächtigt werden. Oder was jenseits der
syrischen Grenze passiert. Einfach hinfahren und sich das
ansehen kann man eben nicht.
Am 21. August kam es im kurdisch bewohnten Gaziantep
an der Grenze zu Syrien zu einem Anschlag auf eine Hoch-
zeitsfeier, bei dem mehr als fünfzig Menschen starben. Die
türkische Regierung vermutet den sogenannten Islamischen
Staat (IS) als Drahtzieher. Kürzlich gelangte ein vertrau-
liches Dokument in die Medien, das die Einschätzung des
BND offenbarte, die Türkei sei eine „zentrale Agitations-
plattform für islamistische Gruppierungen“. Von anderen
Seiten wurde Ankara im Zusammenhang mit dem Konflikt
in Syrien sogar immer wieder eine Unterstützung des IS
vorgehalten. Was halten Sie von diesen Aussagen?
Es gibt eine gewisse ideologische Nähe zwischen relativ
radikalen AKP-Anhängern und -Mitgliedern und dem IS.
Es gab deutliche Anzeichen einer Zusammenarbeit, aber
auf welcher Ebene und wie konsequent diese war, das wis-
sen wir nicht. Die von der
Cumhuriyet
aufgedeckten und
mit ganz erheblicher Verfolgung belegten Nachrichten
5
sehen nach einer Regierungsbeteiligung aus, aber ist sie
dauernd? War sie einmalig? Ich weiß es nicht. Wenn man
vonMesopotamien, also dem Südosten des Landes spricht,
muss man von einem sehr schmutzigen Krieg reden, der
sicherlich nicht dadurch sauberer geworden ist, dass er
sich gleichzeitig noch viel blutiger auch in Nordsyrien
abspielt. Da ist der IS augenscheinlich – mehr kann ich
dazu nicht sagen – aus türkischer Sicht als Feind meines
5 Die türkische Tageszeitung
Cumhuriyet
berichtete über Waffenlieferun-
gen der Türkei an Extremisten in Syrien. Der Chefredakteur Can Dündar
und der Hauptstadtbüroleiter Erdem Gül wurden in einem international
kritisierten Prozess wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente zu
mehreren Jahren Haft verurteilt.
Trauerfeier für die Opfer eines Selbstmordanschlages auf einer Hochzeit in Gaziantep, 21. August 2016
Foto: ullstein bild – Reuters/Fotograf: Osman Orsal