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Ein Interview mit Prof. Dr. Christoph K. Neumann

Einsichten und Perspektiven 3 | 16

Fethullah Gülen im US-amerikanischen Exil mit seiner

Hizmet

-Bewegung

1

. Glauben Sie das?

Es ist nicht richtig klar, aus welchen Leuten die Gruppe

der Putschisten bestand. Wir wissen, dass es Militärs

waren; die Regierung der Türkei erzählt uns mit Hin-

gabe, das seien alles

Fethullahçıs 

2

gewesen, die eine Ter-

rororganisation gegründet hätten. Sehr viele genaue und

überzeugende Hinweise dazu gibt es nicht. Es war jeden-

falls ein Putsch, der nicht zentral von der Armeeführung

organisiert worden ist, sondern einer Gruppe von Offizie-

ren, die sich zusammengetan haben, um das zu planen.

Inwiefern diese von außen gesteuert wurden oder nicht,

wissen wir einfach nicht. Es ist mir völlig unmöglich zu

sagen, dass Fethullah es befohlen habe oder nicht. Das ist

bislang eine Behauptung. Das wesentlichste Indiz dafür

ist die Aussage des Generalstabschefs Hulusi Akar, dass

ihm bei seiner Festnahme von den Putschisten angebo-

ten worden sei, mit Herrn Gülen zu telefonieren. Das ist

eine Aussage. Aber was wir beispielsweise nicht haben, das

sind detaillierte Aussagen von den Putschisten-Generälen,

die erklären, wie die Organisation funktioniert hat und

welche Rolle dabei die

Hizmet

-Bewegung gespielt hat.

Es erscheint mir auch insofern ein bisschen merkwürdig,

dass es auf Seiten der Anhänger Gülens für den Putsch

auch in den ersten spannenden Stunden, in denen es noch

nicht völlig klar war, was passieren wird, keine massive

Unterstützung gegeben hat. Die Indizien dafür, dass es ein

von Gülen zentral gesteuerter Putsch war, sind also sehr

schwach. Dass möglicherweise viele der beteiligten Gene-

räle Anhänger Gülens sind, ist etwas anderes.

Die

Hizmet

-Bewegung wird von Experten sehr unterschied-

lich beurteilt. Was halten Sie von diesen Leuten?

Das Wort „Bewegung“ ist im Türkischen kein schlechtes

Wort zur Bezeichnung dieses Phänomens, weil es eine rela-

tiv breite und unorganisierte Form beschreibt. Deswegen

spricht die Regierung jetzt auch absichtlich von

FETÖ

,

von

Fethullahçı Terör Örgütü

[„Fethullahistische Terror­

organisation“, Anm. d. Redaktion] – also dem „Verband“

oder der „Organisation“. Ich glaube aber, es ist eine Bewe-

gung. Sie war deshalb so erfolgreich, weil sie nicht zentral

war, weil sie verschiedene Formen des Engagements zuge-

lassen hat und weil es zwar Vertraute und Ansprechpart-

ner von Gülen in verschiedenen sozialen und regionalen

1

Hizmet

bedeutet „Dienst“. Die islamisch fundierte Bewegung, die von Gülen

geführt wird, ist insbesondere im Bildungswesen und den Medien tätig.

2 Türkische Bezeichnung für Anhänger des islamischen Predigers Fethullah

Gülen.

Zusammenhängen gab, aber eigentlich nicht so etwas wie

ein Parteiprogramm. Bei sehr vielen ist nicht festzustellen,

ob sie dazugehören oder nicht. Jemand, der zum Beispiel

auf Bitten von Vertrauten Gülens in einer anatolischen

Mittelstadt eine Schule errichtet, die dann von anderen

Leuten getragen wird, und dies tut, weil das in dieser Stadt

gut ankommt, und die Leute, mit denen er zu arbeiten

gewohnt ist, dieser Bewegung nahestehen – gehört der

nun dazu oder nicht? Das muss er selbst gar nicht wissen.

So hat das funktioniert. Das ist auch das neue an dieser

Organisationsform

cemaat

[„Gemeinschaft“, in der Türkei

als Synonym für die Gülen-Bewegung verwendet, Anm.

d. Redaktion]: Dass es anders als beispielsweise bei den

Derwisch-Orden keine Mitgliedschaft gibt, keine Initia­

tion, keine unbedingte Unterwerfung, sondern dass es

offen gehalten ist – nicht nach außen offen, aber offen in

der Art und Weise der Definition.

Was sind die Ziele der Bewegung?

Was Fethullah Gülen ideologisch und religiös betreibt, ist

konservativ, zum Teil sogar ein bisschen obskurantistisch.

Es geht um die Idee, dass der islamische Glaube von vorn-

herein richtig und mit der Naturwissenschaft vollständig

in Übereinstimmung zu bringen ist. Es kommt dann auch

noch der türkische Nationalismus dazu, der zwar ein biss-

chen durch den Internationalismus gedämpft wird, aber

doch sehr wohl erhalten ist. Es ist also eine Bewegung,

die nachvollziehbar in großen Teilen der konservativen

Bevölkerung und der aufstrebenden Mittel- und Ober-

Muhammad Fethullah Gülen im amerikanischen Exil, 2015

Foto: ullstein bild – Pictures from History