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Ein Interview mit Prof. Dr. Christoph K. Neumann
Einsichten und Perspektiven 3 | 16
wahrscheinlich auch tatsächlich nicht angemessen behan-
delt wurde. Nach dem Motto: Böse Buben, die auf einen
bösen Buben einschlagen. Das ist bis zu einem gewissen
Grade ja auch richtig, in mancher Weise ist es aber eben
auch nicht richtig. Einen Militärputsch gut zu finden, so
in der Hoffnung, dass
„They are bad guys, but they are our
bad guys“
dabei herauskommt, ist einfach ungebührlich.
Das ist nicht demokratisch. Und die Demokratie hätte
unter einem Putsch gelitten, auch wenn er gegen Erdoğan
gerichtet war. Militärdiktatur und Demokratie vertragen
sich nicht.
Seit dem Putsch haben Verschwörungstheorien Hochkon-
junktur. Eine davon lautet, der Präsident selbst habe den
Putsch inszeniert. Erdoğan sprach schließlich von einem
„Geschenk Gottes“. Halten Sie dies für vorstellbar?
Ich glaube nicht, dass er von der Regierung inszeniert
worden ist. Dafür gibt es meines Erachtens zu wenige
Hinweise. Vorstellbar ist – das halte ich aber auch nicht
für besonders wahrscheinlich – dass die Regierung das
vielleicht schon ein, zwei Tage gewusst und sich ausge-
rechnet hat: Das kriegen wir unter Kontrolle und wir
wollen die sozusagen lieber auf frischer Tat ertappen, als
jetzt ein paar Amtsenthebungen und Festnahmen durch-
zuführen, ohne dass etwas passiert ist. Das ist vorstell-
bar – ich sage nicht, dass das so gewesen ist. Dass Erdoğan
vom „Geschenk Gottes“ gesprochen hat, zeugt von sei-
nem politischen Gespür – es stimmt ja. Und dass in der
Folge dieser Putsch tatsächlich genutzt wird, um nicht nur
das Netzwerk von Anhängern [des islamischen Predigers,
Anm. d. Redaktion] Fethullah Gülen aufzulösen, sondern
eben auch eigentlich jedes Netzwerk und jeden einzelnen
Beteiligten mehr oder weniger dem Zugriff der Regierung
zu öffnen, ist etwas anderes. Es gibt eigentlich niemanden
im konservativen Spektrum des Landes, der sich nicht mal
mit Fethullah Gülen oder einem nahen Anhänger Gülens
hätte ablichten lassen, der nicht mal eine Spende für eine
entsprechende Schule gemacht hätte oder Ähnliches. Sie
alle stehen jetzt unter Generalverdacht und das ist natür-
lich eine wunderbare Gelegenheit für eine Regierung, die
gerade dabei ist, sich selbst auf Dauer und ohne Gefahr
eines Abtritts durch eine demokratische Intervention zu
etablieren.
Sie haben den Namen bereits genannt. Die AKP hat den
Urheber des Putsches schnell ausgemacht: den Prediger
Der türkische Präsident Recep Tayyıp Erdoğan winkt auf dem Weg zu einer Trauerfeier für Opfer des Putsches aus seiner Dienstlimousine, Istanbul, 17. Juli 2016.
Foto: ullstein bild – Reuters/Fotograf: Yagis Karahan