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Ein Interview mit Prof. Dr. Christoph K. Neumann
Einsichten und Perspektiven 3 | 16
Vor zwei Monaten sorgte der Putschversuch in der Türkei für Schlagzeilen.
Panzer auf der Bosporusbrücke, Militärjets über Istanbul, Parlament und
Präsidentenpalast in Ankara bombardiert, das Staatsfernsehen gekapert. Mehr
als 290 Menschen kamen ums Leben, mehr als 2.000 wurden verletzt. Präsi-
dent Erdoğan forderte die Türken auf, Widerstand zu leisten – mit Erfolg: Am
nächsten Morgen war klar, dass der Putsch gescheitert ist. Seither beschließt
die türkische Regierung eine repressive Maßnahme nach der anderen. Wie sind
die Entwicklungen in der Türkei zu bewerten? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Chris-
toph K. Neumann, Turkologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Viele Türken schätzen Recep Tayyıp Erdoğan dafür, dass er
seit dem ersten Wahlsieg der AKP
(Adalet ve Kalkınma Par-
tisi,
„Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“) im Jahr
2002 als führender Kopf der Partei und seit März 2003 als
Ministerpräsident den Einfluss des Militärs auf die Politik
zurückgedrängt hat. Die Ära der Militärputsche schien be-
endet. Hat Sie der erneute Versuch überrascht?
Ja, ich glaube, dass es fast niemanden gegeben hat, der
davon nicht überrascht war. Ich hatte den Eindruck, dass
die Gelegenheit für einen Militärputsch vor ein paar Jah-
ren vergangen war. Die Tatsache, dass er so richtig dane-
ben gegangen ist, bestätigt das ja eigentlich auch. Es war
natürlich ein Putschversuch, ganz klar. Aber es war bis
auf den allerersten Moment des Erstaunens doch nie eine
echte Gefährdung. Die Frage, die ich mir selbst bis Mit-
ternacht gestellt habe, war: Kommt da jetzt noch irgend-
etwas? Wenn man so einen Putsch macht, ist das, was
ganz am Beginn stehen muss, die Festnahme des Staats-
präsidenten. Und dann macht man weiter. Das war ja hier
nicht der Fall. Ohne dass ich mich jetzt als Experte für die
Durchführung von Militärputschen ausgeben möchte –
ich habe den Versuch als sehr dilettantisch empfunden.
Von einem professionellen Militär würde ich mir sozusa-
gen mehr erwarten. Hierarchische Strukturen wie das tür-
kische Militär – gerade wenn sie vom Rest der Gesellschaft
abgeschottet sind und wenig Konkurrenz haben – werden
zu Hierarchien des Mittelmaßes. Und das waren offenbar
mittelmäßige Leute, die den Putsch versuchten.
Ist der Putsch allein daran gescheitert? In der Vergangen-
heit übernahmen die türkischen Militärs stets mitten in der
Nacht die Macht; drei Uhr morgens gilt als magische Zahl.
Die Putschisten vom 15. Juli suchten sich den frühen Abend
aus, als die Menschen noch auf den Straßen waren. Also
schlichtweg schlechtes Timing?
Das mag durchaus mit eine Rolle gespielt haben. Ich
glaube aber, dass der große Unterschied im Vergleich zu
den Putschen von 1960, 1971 und vor allem von 1980
gewesen ist, dass es großen Widerstand gegen ihn gab.
Das war nicht nur ein Widerstand von der Regierung,
sondern auch von der Bevölkerung. Man sollte das nicht
zu sehr kleinreden. Denn bei allen Putschen davor ist die
Regierung sofort eingeknickt. Sie hat keinen Widerstand
geleistet, und auf Seiten der Bevölkerung war die Artiku-
lation der Unterstützung des Putsches größer als die Arti-
kulation von Widerstand. Auch dann, wenn die Bevölke-
rung eigentlich gar nicht so sehr auf Seiten der Putschisten
gestanden haben mag. Nur haben sich lediglich diejeni-
gen, die den Putsch unterstützt haben, auch getraut, dies
auszudrücken. Das war jetzt im Juli völlig anders.
Auch Erdoğan-Gegner kritisieren die europäische Bericht-
erstattung über den Putschversuch: Die Situation sei ver-
harmlost worden, die tatsächliche Gefahr für die Türkei sei
nicht transportiert worden. Haben sich unsere Medien zu
neutral verhalten?
Weil ich urlaubsbedingt eine Woche nach dem Putsch
vom Internet abgeschlossen war und – abgesehen von
der Gifhorner Rundschau – keine Zeitung zur Verfügung
hatte, kann ich darüber nicht so viel sagen. Aber ich glaube
schon, dass, dadurch dass – zurecht übrigens – in großen
Teilen der deutschen Medien Tayyıp Erdoğan inzwischen
als autoritärer Herrscher, ja sogar als Diktator wahrge-
nommen wird, der Putsch als ein Putsch gegen ihn und
nicht als ein Putsch gegen die verfassungsmäßige Ord-
nung der Türkei gesehen wurde und deswegen anders und