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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16

Was tun mit

Mein Kampf?

Im Mittelpunkt der die Diskussion begleitenden Befürch-

tungen steht dabei die Gefahr, dass neue Generationen von

rechtradikalem Gedankengut infiziert werden könnten.

Anspielungen auf

Mein Kampf

begegnen nämlich zum

Beispiel ganz aktuell auch in Songs rechtsradikaler Musik-

gruppen. Im Lied „Nationalist“ (1997) der Band „Ari-

sches Blut“ heißt es etwa: „Glaube an den Führer, glaube

ans Gebot; Lese Mein Kampf und sterbe den Tod; Glaube

an Deutschland in dieser Zeit; Und stehe als Nationalist

für Deutschland bereit“.

„Sturm 18“ singen in „Brauner Terrorist“ (2002): „Ich

bin ein Nationaler Sozialist/Ein geistiger Brandstifter,

Antisemitist/Ein Staatsfeind, ein ewig Gestriger und tol-

ler Rassist/Ein Idealist, ein brauner Terrorist/Mein Kampf

heißt meine Frühstückslektüre.“

Von dieser offen nationalsozialistischen Propaganda

unterscheidet sich die Anspielung im Lied „Terrorzelle“

(2014) der Band „Gigi und Die braunen Stadtmusikan-

ten“. Hier erfolgt eine Selbststilisierung zum Opfer des

Staates, der den Besitz von

Mein Kampf

zu Unrecht kri-

minalisiere:

„Wer heute noch nach seinen eigenen Regeln lebt, Alte

Ideale hat, nach anderen Dingen strebt, Der macht sich

schon verdächtig und es ist abzusehen, Wann die Schergen

samt dem SEK vor der Haustür stehen/Der Staatsanwalt

wird sagen: Das war nicht mehr zu ertragen/Er nimmt’s

nicht so genau, Beweise sieht man/In der Tagesschau:

CDs von „Macht und Ehre“, Lebkuchenmesser, Luftge-

wehre, Bücher, Fahnen-Unikate und NPD-Plakate. Base-

ballschläger, Deko-Waffen, Hakenkreuze zum Begaffen

und Mein Kampf für alle Fälle: Fertig ist die Terrorzelle“.

14

Auch wenn dies keinesfalls verharmlost werden darf,

scheint

Mein Kampf

jedoch bislang für die Rekrutierung

von Neonazis wie auch für die ideologische Formierung

einschlägiger Gruppen keine entscheidende Rolle zu spie-

len. „So ist Mein Kampf zwar populär unter Neonazis,

aber als Text nur eingeschränkt attraktiv“, stellt die Poli-

tologin Britta Schellenberg fest.

15

Zu einem ähnlichen

Ergebnis kommen Gideon Botsch und Christoph Kopke:

„Namentlich Hitlers Buch ‚Mein Kampf‘ ist für heutige

rechtsextreme oder neonazistische Propaganda nur sehr

14 Für diese Hinweise danke ich Jan Raabe (Argumente & Kultur gegen

rechts e.V.). Vgl. a. das Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung

unter:

http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/41229/

musik [Stand: 30.06.2016].

15 Britta Schellenberg: Ist Hitlers „Mein Kampf“ für junge Neonazis attrak-

tiv? Die Entwicklung des deutschen Neonazismus im Schatten staatlicher

Repression, in: ZfG 60 (2012), S. 915–927, hier S. 926.

bedingt geeignet.“ 

16

Gleichwohl sollte die Wirkung ein-

zelner Sätze und Aussagen auf keinen Fall unterschätzt

werden. Diese können aufgrund ihrer Schlichtheit, ihres

vermeintlich einfachen Erklärungsmusters, des klaren

Freund-Feind-Denkens, der Verherrlichung von Gewalt

und der menschenverachtenden Sprache durchaus wir-

kungsvoll und auch anschlussfähig für heutige politische

Konstellationen sein. Ein besonderes Problem stellt die

Attraktivität von

Mein Kampf

im arabischen Raum dar.

Dort ist es nämlich weit verbreitet, lassen sich doch viele

Aussagen als Parolen gegen Israel verwenden.

17

Inwieweit

dies Resonanz bei arabischen Jugendlichen in Deutsch-

land findet, ist schwer einzuschätzen.

Rückkehr zum „Hitlerismus“?

Jenseits dieser fundamentalen Befürchtungen einer Ver-

breitung rechtsextremistischen Gedankenguts wird mit-

unter die Gefahr eines wieder entstehenden „Hitlerismus“

beschworen. Die Konzentration auf die Person Hitlers

diene demnach als Entlastungsstrategie, um die Ver-

brechen des Regimes Hitler und einer überschaubaren

Riege führender Nationalsozialisten zuzurechnen und die

Deutschen von Schuld freizusprechen. Im Hinblick auf

die historisch-politische Bildung bestehe die Gefahr, sich

nicht nur vom inzwischen erreichten Forschungsstand

abzukoppeln, sondern auch einer Verharmlosung des

Nationalsozialismus das Wort zu reden. Wissenschaftlich

wäre eine solche Position in der Tat nicht haltbar, haben

doch die Forschungen der letzten Jahrzehnte ergeben,

dass das Regime auch dann noch mit großer Zustim-

mung in der Bevölkerung rechnen konnte, als die Zeit

der vermeintlichen Erfolge und Triumphe schon vorüber

war. Auch herrscht insofern ein Konsens, als einerseits die

NS-Diktatur ohne Hitler nicht denkbar und erklärbar,

dieser aber andererseits weder der alleinige Schöpfer der

NS-Diktatur noch der unumschränkte Diktator gewesen

sei. „Wer versucht, zu einem umfassenden Verständnis

des NS-Phänomens zu gelangen, ohne dem ‚Hitler-Fak-

tor‘ gerecht zu werden, hat keinerlei Aussicht auf Erfolg.

16 Gideon Botsch/Christoph Kopke: NS-Propaganda im bundesdeutschen

Rechtsextremismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 43–45/2015,

(19.10.2015), S. 31–38, hier S. 32. Vgl. auch

http://www.zeit.de/2015/49/

mein-kampf-adolf-hitler-fetisch-udo-voigt [Stand: 01.08.2016]. Infor-

mativer Überblick bei Martin Langebach: Rechtsextremismus und Jugend,

in: Fabian Virchow u.a. (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden

2016, S. 375–439.

17 Vgl. dazu Stefan Wild: „Mein Kampf“ in arabischer Übersetzung, in: Die

Welt des Islam 9 (1964), S. 207–211; Gudrun Krämer: Anti-Semitism in

the Muslim World. A Critical Review, in: Die Welt des Islam 46 (2006),

S. 243–276, bes. S. 256 f., 266 f.