aviso 2 | 2014
Quintensprünge
Colloquium
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Quintensprünge
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gesprochen werden. Beispielweise verband das Konzeptalbum
»Der Watzmann ruft« mit Wolfgang Ambros schon 1974 Ele-
mente der Rockmusik und der alpenländischen Volksmusik.
In Deutschland begann das Interesse für Bayern-Pop erst
Anfang der 1980er Jahre. Der niederbayerische Rockmusi-
ker Haindling wurde damals von der Neuen DeutschenWelle
nach oben getragen. Seine Experimente mit Volksmusik,
Rock und Jazz waren aber größtenteils zu anspruchsvoll für
die breite Masse. Anfang der 1990er Jahre schwappte dann
eine Welle von Volksmusik-Rock aus Österreich nach Bayern
herüber: Hubert von Goisern und die Alpinkatzen landeten
einen Hit mit »Koa Hiatamadl«. Der wesentlich sperrigere
Sound von Attwenger brachte Volksmusik, Punk und Hip-
hop zusammen.
In den 00er
Jahren gab es in Bayern eine Vielzahl von
regionalen Mundart-Bands, für die sich die Medien nach
und nach zu interessieren begannen. Der große Durchbruch
begann 2007, als Bayern 3 vermehrt den Song »Fliang« von
Claudia Koreck spielte. 2008 fing die Gruppe LaBrassBanda
um Bandleader Stefan Dettl an, sich mit globaler Blasmusik
zum Tanzen einen Namen zu machen. Ihre ersten beiden
Alben erschienen bei Trikont, einem der wichtigstenMünche-
ner Independent-Labels. Dort wurden in den 1980er Jahren
bereits Künstler der Münchener Kleinkunstszene veröffent-
licht, in den 1990er Jahren dann Attwenger und in den 00er
und 10er Jahren dann deren musikalische Erben: LaBrass-
Banda und Kofelgschroa. Auch in der elektronischen Tanz-
musik gibt es einen Trend zur Regionalisierung: zu nennen
wären beispielweise die Untergrund-Hits »Watschnbam« der
Bayern-Rap-Crew »Doppel D« und »Isartaler Ghettoschüt-
zen Remix«, in dem das Munich Bass-Duo Schlachthofbronx
ein Volksmusikstück sampelt.
Zurück in die 1970er Jahre: Neben dem Mundartrock gab
es damals in München auch eine sehr vitale Kleinkunst-
Szene. Künstler wie Fredl Fesl, die Biermösl Blosn und die
Fraunhofer Saitenmusik verbanden Einflüsse aus der Folk-
Bewegung mit traditioneller bayerischer Volksmusik. Diese
Repertoireöffnung war eine große Neuerung, genauso wie
die manchmal derben Texte. Es kam zu Konflikten mit Tei-
len der traditionellen Volksmusikszene, die ein anderes
ästhetisches Ideal hatte: Wohlklang, technische Perfektion im
Vortrag und Texte, die oft auf nostalgische Weise das Schöne
betonten. Die Vorbilder dieser Tradition, die bis heute
lebendig ist, waren Kiem Pauli, Wastl Fanderl und Tobi Reiser.
Im ersten Jahrzehnt
nach 2000 entwickelten sich in
der traditionellen Volksmusikszene Trends, die in eine andere
Richtung gingen. Pointiert könnte man die Veränderungen
so beschreiben: Wirtshaus statt Konzertsaal, mitreißende
Lebendigkeit statt Wohlklang, Blech statt Zither, derbe Wirts-
hauslieder statt »Über d‘Alma«, stilistische Offenheit statt
Konzentration auf das Eigene. Ein Beispiel für diese Richtung
ist die Münchener Gruppe »Niederbayerischer Musikanten-
stammtisch«. 2005 griff die Sendung »Wirtshausmusikanten«
beim Bayerischen Rundfunk diese Entwicklungen auf. Als
Katalysator für kulturübergreifende Volksmusik in Mün-
chen wirkte dann 2009 das Projekt »Making Musi«: Geför
dert vom städtischen Kulturreferat trafen sich (Volks-)
Musikerinnen und Musiker aus fünf europäischen Städten
und erarbeiteten gemeinsame Stücke. Beeinflusst von diesem
Projekt organisiert Franziska Eimer einen regelmäßigenMusi-
kantentreff imHofbräuhaus. 2013 ist daraus die Fernsehsen-
dung »Z’amrocken« beimBayerischen Rundfunk entstanden.
Bayern transkulturell
Bei diesem Trend aktueller in Bayern entstehender Musik,
internationale Einflüsse aufzunehmen, setzt meine Doktor-
arbeit »Transkulturelle Musikprozesse in Oberbayern« an.
Für den Begriff »Transkulturalität« habe ich mich entschie-
den, weil er auf treffende Weise die gesellschaftlichen Bedin-
gungen zu beschreiben scheint, unter denen Bayern-Musik
entsteht. Der geistige Vater der »Transkulturalität« ist Wolf-
gang Welsch, ein deutscher Philosoph. Nach seinemModell
hat Kultur im 21. Jahrhundert grundsätzlich einen zusam-
mengesetzten Charakter, weil sich alle Kulturen gegenseitig
beeinflussen und durchdringen. Möglich wird das unter
anderem durch Migration und Medien.
Ein besonders deutliches
Beispiel für Transkultura-
lität in der Musik wären folglich »Crossovers«, d. h. Stilver-
schmelzungen. Doch warum nehmen Hörerinnen und Hörer
etwas als Crossover wahr? Weil das entsprechende Musikstück
Elemente enthält, die sie aus verschiedenen Zusammenhän-
gen kennen und daher mit verschiedenen Stilen oder Orten
assoziieren. Die Hörerinnen und Hörer müssen also vorher
schon geistige Kategorien gebildet haben, um einordnen zu
können, was da zusammengefügt wird. Deswegen interes-
siert mich, wie es dazu kommt, dass Musik mit bestimmten
Orten assoziiert wird.
ImGegensatz zu einemMozart-Forscher bin ich in der glück-
lichen Lage, tatsächlich zu den Musikerinnen und Musikern
und den Fans gehen zu können, um sie zu befragen. Ich habe
LaBrassBanda, Die CubaBoarischen und Monaco F bei der
Produktion ihrer aktuellen Platten über die Schulter schauen
dürfen. Außerdem nehme ich regelmäßig am Musikanten-
treff im Hofbräuhaus teil, um den Teilnehmenden beim
Improvisieren zuzuhören. Der folgende Werkstattbericht gibt
einen kurzen Überblick.
Global tanzen im Chiemgau
Den ersten Studiobesuch habe ich bei LaBrassBanda gemacht.
Die Band ist spätestens seit dem spektakulären deutschen
Vorentscheid zum Eurovision Songcontest 2013 im ganzen
Land bekannt. Sie singen imDialekt und spielen globale Tanz
musik mit Blasinstrumenten, Bass und Schlagzeug.
Im Gespräch mit
Bandleader und Songschreiber Stefan
Dettl habe ich einiges über die Einflüsse erfahren, die seine
Musik prägen: Er hatte bis zur Gründungszeit von LaBrass-
Banda eher weniger Kontakt mit Populärer Musik. Kindheit
und Jugend verbrachte er im oberbayerischen Grassau, wo
er auch Trompetenunterricht nahm. In der Schulzeit spielte
er vor allem klassische Musik und traditionelle Volksmusik.
Über die Medien kriegte er natürlich auch die Popmusik der
90er Jahre mit: Eurodance, Hiphop, Grunge. Zum Trompe-
ten-Studium ging er auf das Richard-Strauss-Konservatorium
inMünchen und spezialisierte sich auf klassische Musik und
Jazz. Nebenher spielte er hobbymäßig in einer Chiemgauer
Reggaeband. Die Wende zur Popmusik kam aber erst nach
dem Studienabschluss: Stefan Dettl lernte über den befreun-
deten DJ Andi Auer energiegeladene Blasmusik vomBalkan
kennen. Auf einer New York-Reise beeindruckte ihn ein Kon-
zert der Blasmusik-Hiphop-Gruppe Youngblood Brass Band.
Ihmwurde klar: Blasmusik funktioniert auch als Tanzmusik
für junge Leute im Club. Zurück in Bayern, trommelte er
ein paar Freunde zusammen, der DJ Andi Auer legte Plat-
ten auf und sie improvisierten dazu. So kristallisierte sich der
LaBrassBanda-Sound heraus: Die Band verwendet meist
Basisrhythmen, die in aktueller Tanzmusik üblich sind, zum
Beispiel Techno, Hiphop oder Reggae. Die Genregrenzen wer-
den aber aufgebrochen durch kreative, bandtypische Bläser-
sätze. Bayerisch klingt die Musik von LaBrassBanda für Ste-
fan Dettl durch eben diese Dominanz der Blasinstrumente,
wie er mir amBeispiel des unveröffentlichten Songs »Nacht«
Fotos: Robert Newald | KLJB-Landesausschuss Benediktbeuern | Edward Beierle | Salvan Joachim/www.kultur-vollzug.de | Sabine Schulte | Ausschnitt aus dem LP-Cover Fredl Fesl – eine Stunde mit Fredl Fesl