aviso 2 | 2014
Quintensprünge
Colloquium
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Quintensprünge
Colloquium
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Lorenz Beyer
ist Ethnomusikologe, freier Journalist und Hobby-
Musiker. Er hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München
und am University College Dublin historische Musikwissen-
schaft, Englische Literaturwissenschaft und Kommunikations-
wissenschaft studiert. Seit 2012 arbeitet er an seiner
Doktorarbeit »Transkulturelle Musikprozesse In Oberbayern«.
Seine Erstbetreuerin ist Professorin Dr. Ursula Hemetek
vom Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie der
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Seit 2013
ist Lorenz Beyer Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung. Als Jour-
nalist hat er unter anderem für den Bayerischen Rundfunk
und das MUH-Magazin gearbeitet. Außerdem ist er seit 2006
freier Mitarbeiter am Volksmusikarchiv des Bezirks Ober-
bayern. In seiner Freizeit produziert er elektronische Musik
unter dem Pseudonym »Electrolandler.«
erklärt hat. Elemente aus Volksmusik
und Klassik verarbeitet er kaum. Ver-
mutlich spielen auch die Texte im baye
rischen Dialekt für die Verortung eine
Rolle.
Bei uns dahoam in Kuba
Einen ganz anderen musikalischen
Ansatz haben Die CubaBoarischen: Die
Band ist aus der Gruppe »Die Dorfmusi-
kanten« hervorgegangen, die ausschließ-
lich bayerische Volksmusik spielte. Doch
im Jahr 2000 kam ein Kuba-Urlaub da-
zwischen, der weitreichende Folgen nach
sich zog. Die Gründungslegende geht so:
Eines Abends im Hotel ergab sich eine
Jamsession, bei der Bandleader Hubert
Meixner und zwei seiner Mitstreiter ab-
wechselnd mit den kubanischen Musi-
kern aufspielten. Nach diesem einschnei-
denden Erlebnis lernten die Bayern zum
eigenen Vergnügen ein paar traditionelle
kubanische Stücke. Aus Spaß began-
nen sie, Bayerisches und Kubanisches
zu mischen. Schließlich wurde daraus
ein kommerzieller Erfolg, nicht zuletzt
durch Auftritte in den Sendungen »Die
Wirtshausmusikanten« und »Musikan-
tenstadl«.
Bandleader Hubert
Meixner hat
mir erklärt, wie die CubaBoarischen-
Stücke entstehen: Meist beginnt alles mit
einem kubanischen Stück, das Hubert
Meixner für die Band entdeckt hat. Dann
gibt es mehrere Möglichkeiten: Entwe-
der die Band covert das Lied unverändert,
oder nur die Musik wird übernommen
und bayerisch dazu getextet. Manchmal
fällt Hubert Meixner aber auch ein baye
risches Stück ein, das einem kubanischen irgendwie ähnelt:
Sei es durch Melodie, Textthema oder Akkordfolge. Weil er
jahrzehntelang bayerische Volksmusik gespielt hat, kann er
aus einem enormen Repertoire schöpfen, das in seinemKopf
abgespeichert ist. Dann fängt er an zu basteln, indem er Zitate
aus den traditionellen Stücken zusammenzufügt.
Die Wiederverortung des ortlosen Hiphop
Auch der Rapper und Beatproduzent Monaco F arbeitet mit
bereits bestehendemMaterial, allerdings mit denMitteln der
elektronischen Tanzmusik. Nach seiner Aussage ist er außer-
dem der Erste, der konsequent auf Bayerisch gerappt hat. Zu
diesemTabubruch hat eine Reihe von einschneidenden Erleb-
nissen geführt: Monaco F kommt ursprünglich aus Regen in
Niederbayern, ging aber von Anfang an eigene Wege abseits
der lokalen Musiktraditionen. Anfang der 1990er eiferte er
seinen großen Vorbildern nach, Die Fantastischen Vier aus
Deutschland und A Tribe Called Quest aus den USA. Er rappte
damals selbstverständlich auf Hochdeutsch. Das änderte
sich erst, als er im Jahr 2000 zum Studium nach München
ging. Dort machte er eine Differenzerfahrung, die ihn seine
niederbayerische Identität erst entdecken ließ. Sein Dialekt
war für manche Münchener Studierende ungewohnt, er
sah sich vereinzelt mit Vorurteilen konfrontiert. 2001
äußerte sich ein Radiosender wegen des leichten niederbayeri-
schen Akzents inMonaco Fs hochdeutschen Raps abwertend
über die Platte seines Projekts »Erster Klasse.« Aus Trotz
begann er deshalb im Dialekt zu rappen und gründete die
Crew Doppel D.
Auf seiner bald
erscheinenden ersten Solo-EP möchte
er durch Sprache und Musik Bayern-Assoziationen wecken.
Ein Beispiel ist der Track »Bierallergie«, bei dem Monaco
F sich vom US-amerikanischen Dirty South-Hiphop inspi-
rieren ließ – aus seiner Sicht ein ortloses Genre, weil es sich
mittlerweile so sehr verbreitet hat, dass die Assoziation mit
demUrsprungsort verloren gegangen ist. Monaco F versucht
nun ganz bewusst, diese Musik in Bayern neu zu verorten,
indem er einen Jodler aus demLied »Der Schimmelwirt« von
Fredl Fesl, dem Pionier der Münchener Kleinkunst-Szene,
verwendet. Damit zitiert er ein tragendes klangliches Sym-
bol bayerischer bzw. alpenländischer Musik, das auch schon
die Kleinkunstszene übernommen hatte.
Meltingpot München
Transkulturelle Musikkombinationen finden nicht nur beim
Komponieren, sondern auch beim Improvisieren statt. Des-
wegen dokumentiere ich regelmäßig den Musikantentreff
im Hofbräuhaus, wo zwar im Kern traditionelle bayerische
Musik gespielt wird, aber die stilistische Offenheit zum Kon-
zept gehört. Die Organisatorin Franziska Eimer lädt meist
zwei Kerngruppen ein: Die eine spielt traditionelle baye-
rische Volksmusik, die andere Bayern-Pop oder Musik aus
anderen Ländern. Dazu gesellt sich eine Vielzahl freier Mit-
spieler, die regelmäßig zur Session kommen. Jeder Abend
ist anders; manchmal ergeben sich spontane musikalische
Symbiosen wie der bayerische-simbabwische Jam, den ich
anfangs beschrieben hatte.
Ausgerechnet an einem
Ort wie demHofbräuhaus, das
weltweit geradezu als Symbol bayerischer Identität wahrge-
nommen wird, lässt sich also hervorragend beobachten, wie
die transkulturellen Verflechtungen des 21. Jahrhunderts ihre
Wirkung entfalten. Viele der Teilnehmer sind musikalisch
mehrsprachig und können auf faszinierende Weise umschal-
ten: Gerade noch hat die Klarinettenspielerin mit Trachten-
hut eine Polka gespielt, im nächsten Moment stimmt sie in
einen Jazz-Standard ein. Vor ein paar Sekunden hat der ältere
Herr zur Harfe ein bayerisches Lied vom Kammerfensterln
gesungen, da kommt sein Freund aus Bolivien dazu und sie
spielen zusammen »Che Guevara.« Einmal wurde aus dem
Publikum ein amerikanischer Gitarrist rekrutiert, der wenige
Tage zuvor mit Metallica beimweltgrößtenMetal-Festival in
Wacken auf der Bühne stand. Migranten, reisende Musiker
und Touristen sind gern gesehene Gäste. WennMusikerinnen
und Musiker sich auf fremde Stilrichtungen einlassen, aber
trotzdem aus dem eigenen Stilgefühl heraus spielen, können
interessante Kombinationen entstehen. Jazzmusiker kommen
auf ganz eigene Ideen, wie man in der bayerischen Volks-
musik eine Begleitung spielen kann. Manches funktioniert
natürlich auch nicht, weil die musikalischen Unterschiede zu
groß sind. Aber es ist doch erstaunlich, wie viel zusammen-
geht, wenn man es zulässt.
Sich des Eigenen bewusst sein, aber darin Anderes mit
einbeziehen – vielleicht liegt genau in diesem beidseitigen
Ansatz eine Chance, Identität neu zu denken. Wenn Bierzelt-
Kapellen heute ganz traditionell eine Polka spielen, dann ist
das eine bayerische Variante dieses Tanzes, der im 19. Jahr-
hundert in der ganzen westlichen Welt und ihren Kolonien
verbreitet war. Möglicherweise kann gerade Musik deshalb
dazu auffordern, Vernetzungen mitzudenken, statt im Kopf
strikte Grenzen zu ziehen.
Ich konnte bei
meinen Feldforschungen schon viel
Material sammeln. Bisher habe ich allerdings hauptsächlich
mit denMusikerinnen undMusikern gesprochen. Für dieses
Jahr habe ich mir vorgenommen, mit dem Publikum in Kon-
takt zu treten, um zu erfahren, was für die Rezipientinnen
und Rezipienten den bayerischen Klang ausmacht.
Fotos: Lorenz Beyer | Daniel Hd Schroeder DEFFAPICTURES