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aviso 2 | 2016

FREMDE, IN DER FREMDE

COLLOQUIUM

Nora Gomringer

schreibt Lyrik und für Radio und Feuilleton. Sie rezitiert, schreibt

und liest preisgekrönt vor. Zuletzt wurde ihr der Ingeborg-Bachmann-Preis für

ihren Text »Recherche« zuerkannt. 2016 kuratiert sie zum zweiten Mal das Poesie-

festival in Mexiko Stadt. Sie lebt in Bamberg, wo sie

seit 2010 das Internationale

Künstlerhaus Villa Concordia le

itet. www.nora-gomringer.de

Andreas Herzau

setzt sich als Fotograf, Hochschuldozent und Autor künstlerisch,

theoretisch und auch angewandt mit Fotografie auseinander. Als Bildjournalist mit

eigenständiger und oft überraschender Bildsprache erweitert er in seinen Arbeiten

die Grenzen der klassischen Reportagefotografie, durchbricht Sehgewohnheiten und

hinterfragt damit nicht zuletzt soziale (Wahrnehmungs-)Stereotype. Herzau schafft

dichte Bildgeschichten, die er in Buchprojekten, Ausstellungen und Zeitschriften

veröffentlicht. Sein Werk wurde u. a. mit dem European-Press-Award ausgezeichnet

und ist in Sammlungen wie dem Deutschen Historisch

en Museum und der Stiftung

Gundlach vertreten. Andreas Herzau lebt in Hamb

urg. www.andreasherzau.de

Zum Weiterlesen

Alles von Nora Gomringer. Seit 2000 hat sie sieben Lyrikbände und zwei Essay-

Sammlungen bei Voland & Quist veröffentlicht, dazu a

uch verschiedene Werke beim

Gesunden Menschenversand in Luz

ern. www.nora-gomringer.de

Nora Gomringer

und

Andreas Herzau

: Bamberg Symphony, Hatje Cantz, 2016.

Kann man die Faszination von Musik auch in Text und Bild ausdrücken? Dieser Frage

gehen Gomringer und Herzau in einer neuartigen Versuchsanordnung nach.

Sie tauchen ein in den Kosmos der Bamberger Symphoniker, zu Hause in Bamberg

oder auf Tournee in der Welt. Lyrik und Fotografie finden einen gemeinsamen Ton, um

das Unsichtbare, die Musik, sichtbar zu machen!

Nach China, das Land, in dem Drachen, der Legende nach, im kartographierten

Inland wie im schraffierten Umland leben, herumfliegen und seit jeher als ausgespro­

chene Glückstiere gelten, durfte ich auf Einladung der Bamberger Symphoniker 2015

wieder einmal reisen. Das Orchester war auf einer mehrere Tage dauernden Tournee,

die in Shanghai begann und in Peking endete. Begleitet wurde die Reise von dem

Fotokünstler Andreas Herzau, den ich schon ein paar Jahre kenne und den ich für das

Projekt empfehlen durfte, was uns letztlich zwei Jahre für die Bamberger Symphoni­

ker beobachten, lauschen und staunen ließ. Manchmal sind unsere Berufe Fotograf

und Schriftstellerin sehr schön. Man wird für’s möglichst Unauffällig-Sein bezahlt.

Es sind Texte entstanden, Bilder und Texte, die sich am wohlsten auf Bildern fühlen,

die krabbeln und sich ausräkeln und ihre semantischen Lassos nach den Konstella­

tionen und Farbklängen der Bilder auswerfen.

Wir haben lange daran gearbeitet und das Ergebnis freut uns und hoffentlich auch

das ganze Orchester, für das wir eine besondere Visitenkarte schaffen wollten. Fremd­

heitsgefühle kamen immer wieder auf im Prozess der Entstehung dieses Werkes. Auch

Befremdung, ein Fremdeln und Aufbrüche in fremdes Terrain, denn wie will man

einen herrlichen Moll-Klang, eine präzise Terz und vor allem ihre emotionalen Ent­

sprechungen beim Publikum einfangen? In China zu reisen verändert sich alle 5 Jahre,

denn das Land erfährt immense Umwälzungen. Hotels und Häuser, in denen man

lebte, sind verschwunden. Malls und die neuesten Markenläden blinken einem

entgegen. Alte Tempel werden versetzt oder vergoldet. Ständig normaler wird der

Anblick des Unterschieds, bis der Unterschied verwischt. Kaukasier, Asier… trennt nicht

mal mehr die Vorsilbe, geschweige denn das benannte Gebirge. Dachten wir einmal

daran, dass Globalismus uns die Fremdheitsgefühle auf Dauer austreiben, uns verbin­

den, – imwahrsten Sinne – verbrüdern würde? Mit einem Satz um die Erde, getan in

einem Flugzeug mit einem Film vor den Augen und einemMenü auf dem Schoß, lan­

det man auf neuer Scholle, hört unbekannten Zungenschlag und doch steht irgendwo

ein Schild: Man spricht Deutsch, mindestens aber English, here! So rar die Orte, wo

dies nicht so ist. Herzau, der als Fotograf von Auftrag zu Auftrag Bilder und Eindrü­

cke sammelt, sucht nach den Deckungsungleichen, damit sie uns eingehen, wir sie

in unseren inneren Katalog der Bilder aufnehmen können. Was kann da die Lyrik?

Mit ihrem Lispeln, Singen, Verzieren? Sie kann auf andere Weise protokollieren und

Auskünfte aus der Welt der Ränder erteilen. Dort, wo das Gewohnte noch Bestand

hat und das Fremde gerade so zu schillern beginnt, dort wo es spannend wird für uns,

wo der heiße Drachenatem schön spürbar wird.

Fremd-Sein. In unserer Welt auch ein Zustand der Herausforderung. Fast ein Luxus,

der da in der Verstörung liegt.