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aviso 2 | 2016

FREMDE, IN DER FREMDE

COLLOQUIUM

und

die Fremden

. Der Hauptbahnhof

wird den Fremden als

»Treffpunkt aller

fremden Reisenden«

vorgestellt. Wie bei

Die Fremden

nimmt Valentin auch hier

den Topos wieder auf, dass dem Einhei­

mischen die eigene Stadt oft fremder ist

als dem Fremden:

»Das Deutsche Muse-

um ist der Treffpunkt aller Nationalen –

es sollen auch schon Münchner drin ge-

wesen sein.«

Andererseits wiederum ist der Fremde

demEinheimischen nicht fremd, weil er

ihn im

»Fremdenomnibus«

als Fremden

sofort erkennen kann:

»Aber dem Ein-

heimischen sind die fremdesten Fremden

nicht fremd, – er kennt zwar den Frem-

den persönlich nicht, merkt aber sofort,

dass es sich um einen Fremden handelt

bzw. um Fremde handelt; zumal, wenn

diese Fremden in einem Fremdenomni-

bus durch die Stadt fahren.«

Fremd und doch nicht fremd

Obwohl Karl Valentin nahezu pani­

sche Angst vor dem Reisen hatte und

eigentlich nie über den deutschsprachi­

gen Raum hinaus kam, taucht Fremdes,

Fremdartiges und Exotisches immer wie­

der in Karl Valentins Werk auf. So fin­

det das Duell im Film

»Die Mysterien

eines Frisiersalons«

im»Senegalesischen

Salon«, der mehr einem fernöstlichen

Tempel gleicht, statt. Ein nicht uner­

hebliches Detail, denn die Dekoration

spielt bei Valentin häufig mit und ist Teil

Valentin’scher Verfremdungstechniken.

Karl Valentin bedient sich schon sehr früh der Ver­

fremdung, des Kunstkonzepts der Avantgardisten;

als solchen darf man Karl Valentin auch deshalb

ohne Scheu betrachten.

Ein beliebter Spielort bei Karl Valentin ist das

Münchner Oktoberfest. Wie zu seiner Zeit sehr

in Mode ist auch in Valentins Szenario allerhand

Exotisches zu finden, vonMenschenfressern bis zu

echten Indianern. Was zunächst fremd erscheint,

wird bei näherer Betrachtung jedoch oft recht ver­

traut. Der messerwerfende Indianer in Valentins

Film

»Karl Valentin und Liesl Karlstadt auf der

Oktoberwiese«

entpuppt sich inWirklichkeit als ein

alter Bekannter:

»der kommt mir bekannt vor«

wird

Karl Valentin imStummfilmuntertitelt. Nachdem er

dem Indianer die Schminke aus demGesicht wischt,

erkennt er den

»Aloisl aus der Au«

. Der orientali­

sche Zauberer in

»Tingeltangel«

spricht in seinem

fremdländischen Akzent von

»Sauerei«

und

»Sau-

bereien«

statt von Zauberei und Zaubereien. Karl

Valentinmeint in ihmden türkischenHonigmann

von der Dult zu erkennen, der Zauberer wiegelt zu­

nächst ab:

»Honigmann?!? – Bin ick nicht!! – Der

ist meine Schwester!!«

Schließlich entlarvt sich der

vermeintliche Orientale aber selbst. Als sein unter

demTisch versteckter Helfer ungeschickt den Trick

verrät, schimpft er:

»Hundsbua – miserablicher!«

Ähnlich erscheint einem die Sprache im

»Chine-

sischen Couplet«

vollkommen fremd, chinesisch

nämlich. Bei genauerem Hinhören kann man frei­

lich aber die eigene Sprache erkennen:

»Wann i ko

na kimm i, kumm i aber nimmi, (...) Bier ham mi

nimmi, sauf ma halt a Wassi (...)«

.

Mit der Metapher des Spiegelbildes als traditionelles

Bild der Selbstwahrnehmung demonstriert Valen­

tin seine Selbstverfremdung, d. h. das Phänomen,

oben links

Filmstill aus »Karl Valentin

und Liesl Karlstadt auf der

Oktoberwiese«.

daneben

Fimstill aus Karl Valentins

Film mit dem Fremdenwagen durch

München, 1929. Die »Fremden-

führer« Karl Valentin und Liesl Karl-

stadt gönnen sich eine Maß.

daneben

Postkarte, Valentin-

Karlstadt-Museum, Hofbräuhaus

München, 1923. Das Münchner

Hofbräuhaus, stets ein beliebter

Treffpunkt von Einheimischen wie

Fremden.

links

Liesl Karlstadt als Chinesischer

Salonkomiker, singt chinesisch.

darunter

Stadtarchiv München, aus

der Altmünchner Bildersamm-

lung Karl Valentins. Die erste im

Vergnügungspark auftretende

»Negergruppe«, Volksgarten

Nymphenburg, 1892.

unten rechts

Orientalischer Zauberer

im Tingel-Tangel, 1931.