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gehen,

zu treffen.«

Text:

Sabine Rinberger

»Fremd ist der Fremde nur in der Fremde«

, heißt ein vielzitierter und

hochphilosophischer Satz aus dem Dialog

Die Fremden

von Karl Valen­

tin, der zwar oft wiedergegeben, aber nicht unbedingt gleich immer ihm

zugeschrieben wird. Vielzitiert ist dieser Satz wohl deshalb, weil er, wie

kaum ein anderer, alles in sich birgt, was das Thema

Fremde

und

fremd

sein

bedeutet, nämlich die einfache und zugleich ungeheuer kompli­

zierte Tatsache, dass jeder gleichzeitig irgendwo fremd ist und irgend­

wo zu Hause. Einzig auf den Standort und die Perspektive kommt es an.

Fremd ist das, was man nicht kennt, was einem nicht vertraut ist. Dies

ist auch bei Karl Valentin kein statischer, sondern ein veränderlicher

Zustand:

»Weil jeder Fremde, der sich fremd fühlt, ein Fremder ist und

zwar solange, bis er sich nicht mehr fremd fühlt - dann ist er kein Frem-

der mehr.«

Dann ist er laut Valentin ein

»Nichtmehrfremder«

. Diese

für Valentin typische Wortschöpfung beschreibt auf geniale Weise das

Gegenteil von

Fremder

, das das Wort

Bekannter

oder gar

Einheimischer

nicht immer trifft. Denn auch demEinheimischen – oder nach Valentin –

Nichtmehrfremden

kann durchaus in der eigenen Stadt vieles vertraut,

einiges aber auch fremd sein. Im gleichen Dialog heißt es:

»Denmeisten

Münchnern z. B. ist das Hofbräuhaus nicht fremd – hingegen ihnen die

meisten Museen fremd sind.«

Wie dem Einheimischen das eigentliche

Vertraute, nämlich die eigene Stadt, fremd sein kann, finden sich laut

Valentin auch

»Fremde unter Fremden«

, nämlich dann,

»wenn Fremde

mit demZug über eine Brücke fahren und ein anderer Eisenbahnzug mit

Fremden unter derselben durchfährt, so sind die durchfahrenden Frem-

den – Fremde unter Fremden«

.

Was nicht gleich so ohne Weiteres – wenn überhaupt – zu begreifen ist,

führt freilich die ganze Diskussion darüber, was nun fremd ist und was

nicht, wo man fremd ist und wo nicht, ad absurdum. Gleichzeitig ver­

weist Valentin aber auf die räumliche und zeitliche Nähe von Fremdem

und Vertrautem sowie auf die Flüchtigkeit dieses Zustandes.

Fremdenrundfahrt

Was kann also ein Fremder in einer fremden Stadt tun, um diese ken­

nenzulernen und somit dort ein Nichtmehrfremder zu werden?

Mit dem Aufstieg Münchens zu einer Metropole des Fremdenverkehrs

erfreuten sich Mitte der 20er Jahre motorisierte Stadtrundfahrten

zunehmender Beliebtheit. Eine solche »Fremdenrundfahrt« nimmt

Karl Valentin zum Thema seines 1929 entstanden Films

»Münchner

Fremdenrundfahrt«

. Auf einer Sightseeing-Tour, vorbei an berühm­

ten und beliebten Orten Münchens, beschäftigt er sich satirisch mit der

Münchner Stadtgeschichte. Neben dem

1. Erklärer

(Karl Valentin), dem

2. Erklärer

(Herr Liesl Karlstadt) und dem

Fremdenautoführer

(Josef

Rankl) stehen auf der Liste der handelnden Personen

der Fremdenwagen

links

Filmstill aus »Karl Valentin und

Liesl Karlstadt auf der Oktoberwiese«.

aviso 2 | 2016

FREMDE, IN DER FREMDE

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