aviso 3 | 2016
ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN
EDITORIAL
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Ist das Anthropozän museumsreif? | Nina Möllers | Seite 24
Was bedeuten Hirsche ... | Hansgeorg Bankel | Seite 44
Dr. Ludwig Spaenle
Bayerischer Staatsminister
für Bildung und Kultus,
Wissenschaft und Kunst
Editorial
LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,
»Hier sind wir durchgegangen«, schrieb Volker Braun in sei-
nem Gedicht »Durchgearbeitete Landschaft« 1971, »das Un-
terste gekehrt nach oben und durchgewalkt und entseelt und
zerklüftet alles//Hier sind wir durchgegangen.« Mit der indus-
triellen Revolution setzte der Mensch Prozesse in Gang, deren
Konsequenzen nicht absehbar waren. Heute, wo es nur noch
wenig wirklich unberührte Wildnis gibt, ist die Umgestaltung
der Welt durch denMenschen so weit fortgeschritten, dass eine
Diskussion über ein neues, vom Menschen geprägtes Erdzeit-
alter – das »Anthropozän« – entstanden ist. Diese Debatte ist
längst in der Öffentlichkeit angekommen und sie berührt uns
alle, die wir in einer Welt der Monokulturen, der begradigten
Flüsse und Autobahnlandschaften leben, die wir alle auch ein
Stück weit daran beteiligt sind, dass der Regenwald schwin-
det, die Arten sterben, die Erde sich erwärmt und die Ozeane
vermüllen. Das, was wir als Landschaft wahrnehmen, ist oft
vielfach über Jahrhunderte hinweg überformt. Ein Zurück gibt
es nicht mehr, die Spuren des Menschen sind der Erde unaus-
löschlich eingeschrieben. Apokalyptische Szenarien helfen aber
nicht weiter. Mit der Umgestaltung der Welt wird im Grunde
alles zur Kultur imweitesten Sinne und der Mensch keineswegs
ohnmächtig oder aus der Verantwortung entlassen. Es gilt, eine
neue Ethik zu entwickeln. Auch wenn die Herausforderungen
kaum bewältigbar scheinen, so wird doch heute in den Natur
wissenschaften, in den Geisteswissenschaften und auch in
der Kunst gemeinsam so intensiv wie wohl noch nie über neue
Lösungsansätze für ein zukunftsfähiges Zeitalter des Menschen
nachgedacht. Die neue Ausgabe von aviso will einen Beitrag zu
dieser Diskussion leisten.