Table of Contents Table of Contents
Previous Page  8 / 52 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8 / 52 Next Page
Page Background

|8|

aviso 3 | 2016

ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN

BAYERNS VERBORGENE SCHÄTZE

AUFGEROLLTES WISSEN

DIE SCHULWANDBILDSAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Text:

Ina Katharina Uphoff

ZUSAMMEN MIT SCHULBÜCHERN

waren Schulwandbil-

der lange Zeit die einflussreichstenMedien imUnterricht. Im

19. und vor allem im 20. Jahrhundert prägten sie über Gene-

rationen hinweg die »Sicht auf die Welt«. Über die Anschau-

ungsbilder lernten Schülerinnen und Schüler neben ihrer

eigenen Heimat andere Kulturen und fremde Welten kennen,

durch sie entstanden Vorstellungen von Produktionsprozes-

sen, von historischen Entwicklungen sowie von Moral, Öko-

nomie, Politik, Recht und Gesetz – sie waren Formen des zu

vermittelnden kulturellenWissens. Bis weit in die 1970er Jahre

gehörten die schulischen Wandbilder zur Grundausstattung

der Schulen. Heute sind diese Bilder wichtige »Schätze der

Forschung«. In der Forschungsstelle Historische Bildmedien

an der Universität Würzburg stehen sie als symbolische For-

men der Kultur, als ästhetische Dokumente und didaktische

Medien der Bildungsgeschichte sowie als historische Quellen

der Vorstellung von Mensch und Welt im Zentrum der wis-

senschaftlichen Arbeit.

Die Funktion von Schulwandbildern

Allgemein gefasst lag die Aufgabe schulischer Wandbilder

darin, lehrplanbezogen die Vielgestaltigkeit der Welt didak­

tisch aufbereitet zu präsentieren. Die Bilder dienten der

Förderung der Sprach- und Ausdrucksfähigkeit sowie der

ästhetischen Geschmacksbildung. Zugleich sollten klare

Vorstellungen vom Lerngegenstand entstehen und das Wis-

sen über die Veranschaulichung gefestigt werden. Ergän-

zend traten erzieherische Intentionen mit vor allem sittlich-

moralischer Zielsetzung hinzu.

Neben der Verstandes-, Gemüts- undWillensbildung standen

Schulwandbilder immer auch imKontext politischer Interes-

sen. Sie beförderten die Bildung kulturell-nationaler Selbst-

verständnisse und kollektiver Identitäten. Im Kaiserreich

unterstützten die schulischen Bildmedien v. a. die vaterländi-

sche Erziehung und den »Untertanengeist«. Der kaiserzeitli-

che Unterricht stand imDienst eines amtlich verordneten kon-

servativen Patriotismus. In der Zeit des Nationalsozialismus

wurden Wandbilder zur gezielten Indoktrination eingesetzt.

Exemplarisch dafür ist das Märchenbild »Dornröschen« aus

dem Verlag »Der praktische Schulmann« (siehe gegenüber-

liegende Seite), wobei sich die propagandistische Ebene erst

bei genauerer Betrachtung offenbart. Das rechte untere Bild

verdeutlicht mit dem Hitlergruß die erstrebte »Erweckung

des deutschen Volkes durch den Führer«.

MIT DER GRÜNDUNG

der Bundesrepublik entstand schließ-

lich ein gesellschaftliches und bildungspolitisches Aufga-

benfeld von größter Tragweite: Die Erziehung zur Demo-

kratie. Schulen waren dafür zentrale Orte – ihnen wurde in

der jungen Bundesrepublik die Funktion zugeschrieben, die

demokratische Verfassung, den liberalen und sozialen Rechts-

staat transparent zu machen und über die Bürgerrechte und

-pflichten aufzuklären. Dafür wurden auch Schulwandbilder

eingesetzt. So entstand in der Nachkriegszeit eine Reihe von

Wandbildern, die mit den Themen »Grundrechte«, »Rechts-

ordnung« oder »Staatsaufbau« die Akzeptanz für die par-

lamentarisch-demokratische Republik unterstützen sollten.

VIELE SCHULWANDBILDER

veranschaulichten biblische

Inhalte, naturkundliche Themen und geografische Beson-

derheiten. Zugleich zeigten sie technische Entwicklungen

und machten die Bedeutung maschineller Errungenschaf-

ten deutlich. So sollte neben den zu erwerbenden Kennt-

nissen auch der Fortschrittsoptimismus befördert werden.

Insbesondere in den 1950er Jahren wurde die Industrie zum

Zeichen des Aufbruchswillens der Wirtschaftswunderzeit.

Technisches Know-how, moderne Maschinen und Fabri-

ken oder die Instandsetzung der Infrastruktur bildeten die

Basis einer wachsenden ökonomischen Prosperität, die nicht

zuletzt dem politischen System einen Legitimationsschub

verlieh. Schulwandbilder dienten der Bebilderung der wie-

der erstarkten wirtschaftlichen Kraft.

Forschungsrelevanz

Schulwandbilder verweisen auf wissenschaftliche Kenntnis­

stände, historische Diskurse und Praktiken, sie sind Träger

kanonisiertenWissens. Mit einer eigenen Bildlogik geben sie

Auskunft über verdeckte Formen der Wissens- und Wirklich-

keitskonstruktion und pädagogisch-normative Ordnungs-

funktionen. Mithilfe der Bilder kann erforscht werden, was

handlungswirksam werden sollte, da über sie ein sozialer

Geschmack eingeübt, Normen inkorporiert und soziale Struk-

turen stabilisiert worden sind. Als Spiegel der europäischen

Geistes- und Kulturgeschichte sind die Bilder damit nicht

allein Lehr-Lernmedien, sondern Abbilder kultureller Ein-

flüsse, Zeugnisse historischer pädagogischer Denkfiguren

und nicht zuletzt anschauliche Beispiele einer Erzeugung

und Tradierung politischer Einstellungen und Stereotype.

© Forschungsstelle Historische Bildmedien Würzburg

Dr. Ina Katharina Uphoff

ist Akademische Oberrätin am

Lehrstuhl für Systematische Bildungswissenschaft der

Universität Würzburg und Leiterin der Forschungsstelle His-

torische Bildmedien. Schwerpunkte ihrer wissenschaft-

lichen Arbeit liegen in der historischen Bildungsforschung,

der Bildmedienforschung und der Analyse von

Musealisierungsprozessen.