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aviso 3 | 2016
ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN
BAYERNS VERBORGENE SCHÄTZE
AUFGEROLLTES WISSEN
DIE SCHULWANDBILDSAMMLUNG DER UNIVERSITÄT WÜRZBURG
Text:
Ina Katharina Uphoff
ZUSAMMEN MIT SCHULBÜCHERN
waren Schulwandbil-
der lange Zeit die einflussreichstenMedien imUnterricht. Im
19. und vor allem im 20. Jahrhundert prägten sie über Gene-
rationen hinweg die »Sicht auf die Welt«. Über die Anschau-
ungsbilder lernten Schülerinnen und Schüler neben ihrer
eigenen Heimat andere Kulturen und fremde Welten kennen,
durch sie entstanden Vorstellungen von Produktionsprozes-
sen, von historischen Entwicklungen sowie von Moral, Öko-
nomie, Politik, Recht und Gesetz – sie waren Formen des zu
vermittelnden kulturellenWissens. Bis weit in die 1970er Jahre
gehörten die schulischen Wandbilder zur Grundausstattung
der Schulen. Heute sind diese Bilder wichtige »Schätze der
Forschung«. In der Forschungsstelle Historische Bildmedien
an der Universität Würzburg stehen sie als symbolische For-
men der Kultur, als ästhetische Dokumente und didaktische
Medien der Bildungsgeschichte sowie als historische Quellen
der Vorstellung von Mensch und Welt im Zentrum der wis-
senschaftlichen Arbeit.
Die Funktion von Schulwandbildern
Allgemein gefasst lag die Aufgabe schulischer Wandbilder
darin, lehrplanbezogen die Vielgestaltigkeit der Welt didak
tisch aufbereitet zu präsentieren. Die Bilder dienten der
Förderung der Sprach- und Ausdrucksfähigkeit sowie der
ästhetischen Geschmacksbildung. Zugleich sollten klare
Vorstellungen vom Lerngegenstand entstehen und das Wis-
sen über die Veranschaulichung gefestigt werden. Ergän-
zend traten erzieherische Intentionen mit vor allem sittlich-
moralischer Zielsetzung hinzu.
Neben der Verstandes-, Gemüts- undWillensbildung standen
Schulwandbilder immer auch imKontext politischer Interes-
sen. Sie beförderten die Bildung kulturell-nationaler Selbst-
verständnisse und kollektiver Identitäten. Im Kaiserreich
unterstützten die schulischen Bildmedien v. a. die vaterländi-
sche Erziehung und den »Untertanengeist«. Der kaiserzeitli-
che Unterricht stand imDienst eines amtlich verordneten kon-
servativen Patriotismus. In der Zeit des Nationalsozialismus
wurden Wandbilder zur gezielten Indoktrination eingesetzt.
Exemplarisch dafür ist das Märchenbild »Dornröschen« aus
dem Verlag »Der praktische Schulmann« (siehe gegenüber-
liegende Seite), wobei sich die propagandistische Ebene erst
bei genauerer Betrachtung offenbart. Das rechte untere Bild
verdeutlicht mit dem Hitlergruß die erstrebte »Erweckung
des deutschen Volkes durch den Führer«.
MIT DER GRÜNDUNG
der Bundesrepublik entstand schließ-
lich ein gesellschaftliches und bildungspolitisches Aufga-
benfeld von größter Tragweite: Die Erziehung zur Demo-
kratie. Schulen waren dafür zentrale Orte – ihnen wurde in
der jungen Bundesrepublik die Funktion zugeschrieben, die
demokratische Verfassung, den liberalen und sozialen Rechts-
staat transparent zu machen und über die Bürgerrechte und
-pflichten aufzuklären. Dafür wurden auch Schulwandbilder
eingesetzt. So entstand in der Nachkriegszeit eine Reihe von
Wandbildern, die mit den Themen »Grundrechte«, »Rechts-
ordnung« oder »Staatsaufbau« die Akzeptanz für die par-
lamentarisch-demokratische Republik unterstützen sollten.
VIELE SCHULWANDBILDER
veranschaulichten biblische
Inhalte, naturkundliche Themen und geografische Beson-
derheiten. Zugleich zeigten sie technische Entwicklungen
und machten die Bedeutung maschineller Errungenschaf-
ten deutlich. So sollte neben den zu erwerbenden Kennt-
nissen auch der Fortschrittsoptimismus befördert werden.
Insbesondere in den 1950er Jahren wurde die Industrie zum
Zeichen des Aufbruchswillens der Wirtschaftswunderzeit.
Technisches Know-how, moderne Maschinen und Fabri-
ken oder die Instandsetzung der Infrastruktur bildeten die
Basis einer wachsenden ökonomischen Prosperität, die nicht
zuletzt dem politischen System einen Legitimationsschub
verlieh. Schulwandbilder dienten der Bebilderung der wie-
der erstarkten wirtschaftlichen Kraft.
Forschungsrelevanz
Schulwandbilder verweisen auf wissenschaftliche Kenntnis
stände, historische Diskurse und Praktiken, sie sind Träger
kanonisiertenWissens. Mit einer eigenen Bildlogik geben sie
Auskunft über verdeckte Formen der Wissens- und Wirklich-
keitskonstruktion und pädagogisch-normative Ordnungs-
funktionen. Mithilfe der Bilder kann erforscht werden, was
handlungswirksam werden sollte, da über sie ein sozialer
Geschmack eingeübt, Normen inkorporiert und soziale Struk-
turen stabilisiert worden sind. Als Spiegel der europäischen
Geistes- und Kulturgeschichte sind die Bilder damit nicht
allein Lehr-Lernmedien, sondern Abbilder kultureller Ein-
flüsse, Zeugnisse historischer pädagogischer Denkfiguren
und nicht zuletzt anschauliche Beispiele einer Erzeugung
und Tradierung politischer Einstellungen und Stereotype.
© Forschungsstelle Historische Bildmedien Würzburg
Dr. Ina Katharina Uphoff
ist Akademische Oberrätin am
Lehrstuhl für Systematische Bildungswissenschaft der
Universität Würzburg und Leiterin der Forschungsstelle His-
torische Bildmedien. Schwerpunkte ihrer wissenschaft-
lichen Arbeit liegen in der historischen Bildungsforschung,
der Bildmedienforschung und der Analyse von
Musealisierungsprozessen.