Das Interview führte
aviso-Redakteurin
Dr. Elisabeth Donoughue
.
BIGSAS Literaturfestival www.bigsas.uni-bayreuth.de/literaturfestivalBayreuth International Graduate School of African
Studies (BIGSAS
): www.bigsas.uni-bayreuth.deFuture Migration.
Network for Cultural Diversity: www.future-migration.uni-bayreuth.de/en/OFUATEY-ALAZARD:
Für uns ist das Festival eine deutsch-
landweit einzigartige Veranstaltung, die zum Aufbrechen
verkrusteter Denkstrukturen und zu dekolonialem Wandel
beiträgt. Und ich sage dies nicht, weil wir es ins Leben geru-
fen haben: Wir bekommen dies auch jedes Jahr von unseren
Gästen gespiegelt, auch von jenen, die in den aufregendsten
Städten der Welt leben... New York, Nairobi, Rio de Janeiro.
Sie alle kommen immer wieder gern nach Bayreuth zurück.
Außerdem steht das BIGSAS Literaturfestival als dekolo
niale kulturelle Praxis auch im Zentrum meines eigenen For-
schungsvorhabens. Mithilfe der BIGSAS-Strukturen konn-
te ich meine Feldforschung bei Festivals in Nigeria und im
Senegal betreiben und daran anschließend mein durch das
Auswärtige Amt gefördertes Projekt einer Film- und Veran-
staltungsreihe mit Symposien in den ehemaligen deutschen
Kolonien in Afrika produzieren.
aviso:
Welchen Themen hat sich das BIGSAS Literaturfesti-
val 2017, im Juni stattgefunden hat, gewidmet?
ARNDT:
2017 hat sich das BIGSAS Festival afrikanischer und
afrikanisch-diasporischer Literaturen der Krise gewidmet,
die in Europa weithin »Flüchtlingskrise« genannt wird, die
aber im Kern mindestens auch eine »Identitätskrise« Eu-
ropas ist. Populistischen Bedrohungsszenarien, die Hass
und Gewalt schüren, hat das Festival eine ebenso klare wie
zukunftsträchtige Botschaft entgegengestellt: »We(l)come
to Europe.« Ja, Menschen suchen Schutz vor lokalen Aus-
wirkungen globaler Krisen. Sie gehen lange Wege und zwar
als Ergebnis eines Weges, den die Geschichte vor Jahrhun-
derten eingeschlagen hat. Udo Lindenberg singt: »Du fällst
vom Himmel, irgendwann, irgendwo – und das nennen die
dann Heimat, oder so.« Das ist ein wichtiger Gedanke, den
ich mir oft bewusst mache, um meine Privilegien nicht
als meine Errungenschaft, sondern als Glück zu denken.
Eigentlich ist es gar kein Glück. Ich profitiere davon, dass mir
globale Machtverhältnisse ein gutes Leben garantieren und
es anderen verwehren. Hier versuche ich, mehr Demut und
Verantwortung zu lernen – und ich glaube, auch die deut-
sche Gesellschaft im Ganzen kann durch Verantwortung, die
sich aus Privilegien und Erinnerung ableitet, am Ende nur
gewinnen. Natürlich ist es wichtig, politisch an Strategien
zu arbeiten, um Fluchtursachen zu beheben. Diese Strate-
gien können aber bestenfalls mittelfristig wirken. Was aber
jetzt benötigt wird, ist ein europäisches Handeln, das dem
Wunsch von Menschen Rechnung trägt, in Europa Zuflucht
vor Krieg, Vertreibung und Diskriminierung sowie ökono-
mische und seelische Sicherheit zu finden. Dieses Handeln
nicht als gönnerhaftes Helfen misszuverstehen,
finde ich sehr wichtig. Gefragt sind verantwortli-
che Reaktionen auf historische und gegenwärtige
Grenzüberschreitungen und so verursachte Kriege
und Krisen. Es geht um Verantwortung. Nicht nur,
weil Europa es kann – sondern weil es historisch
noch aussteht. Die Gegenwart ist nicht allein ein
Ergebnis vergangener Zukünfte. Nein, die Gegen-
wart trägt auch die Narben all jener Zukünfte, die
verhindert, vergessen und beschwiegen werden.
OFUATEY-ALAZARD:
In der deutschen Erinne-
rungspolitik und vor allem von der deutschen
Politik wird die Bitte um Vergebung noch im-
mer Entschuldigungen vorgezogen, um Repara-
tionszahlungen zu vermeiden. Stattdessen wer-
den Entwicklungshilfegelder favorisiert, die die
moralische Agenda einer Entschuldigung in ihr
Gegenteil verkehrt: denn wer zu entwickeln hilft,
ist gut und überlegen. Verantwortungsübernah-
me für historische Schuld aber bedarf anderer
Symbolhandlungen und auch Lösungsansät-
ze. Dass Tausende von Menschen aus aller Welt
aufbrechen, um ihren Anteil einer ungerecht
verteilten Zukunft in Anspruch zu nehmen, ist
etwas, das auch von Europa aus geändert wer-
den kann und muss. Es geht um eine gerechte-
re Verteilung von Ressourcen, um die Teilhabe
an Privilegien und um eine Umverteilung der
Bürde, die Abfälle der Konsumgesellschaft zu
tragen. All diesen Fragen hat sich das BIGSAS
Literaturfestival gewidmet, das vor kurzem,
vom 8.-10. Juni 2017, stattgefunden hat.
Viele Autor*innen, die sich literarisch oder bio-
grafisch mit dem Themen von Flucht und Mig-
ration beschäftigt haben, sind zu Gast gewesen.
Daneben haben wir auch einen Schwerpunkt auf
Gespräche mit Akteur*innen in Bayreuth, Bayern
und Deutschland gesetzt, die beruflich oder eh-
renamtlich mit diesen Themen befasst sind. Für
die Keynotes konnten wir unter anderem den
französischen Historiker Pap Ndiaye und den
britischen Journalisten Gary Younge gewinnen.
Prof. Ute Fendler von der Romanistik der Uni
Bayreuth hat eine Filmreihe zum Thema kuratiert
und beim Abschlusskonzert gab es dieses Jahr
Hip Hop mit M1 (Dead Prez) & Bonnot, die als
Special Guest Shadia Mansour eingeladen haben!
aviso:
Vielen Dank für das Gespräch.
Nadja Ofuatey-Alazard
,
im Schwarzwald
geboren, ist Diplomjournalistin und lebt in Mün-
chen. Derzeit promoviert sie in der BIGSAS
der Universität Bayreuth. Sie war mehrere
Jahre in der US-amerikanischen Filmproduk-
tion tätig und arbeitete danach in Deutsch-
land als Filmemacherin, Produktionsleiterin,
Autorin, Herausgeberin, Moderatorin und
Pressereferentin.
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aviso 3 | 2017
AFRIKA IN BAYERN
COLLOQUIUM
© Daniela Incoronato/BIGSAS Literaturfestival 2015 | Johannes Roßkamm