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AN EINEM KALTEN
Februartag 2002 traf ich, 19 Jahre alt, aus
Uganda am Flughafen Köln-Bonn ein. Das erste Mal war
ich so weit von Zuhause weg. Dort erwartete mich meine
Schwester – die älteste von sechs Schwestern und einem
Bruder – mit ihrem Mann. Sie hatten mich eingeladen, mit
ihnen zu leben und in Deutschland zu studieren. In der
Hand hielt meine Schwester liebevoll eine rosa Winter
jacke und nach herzlichen Begrüßungs-Umarmungen half
mir ihr Mann – immer ein Gentleman – hinein. Noch als
ich in der Grundschule war, hatte meine Schwester gleich
nach ihrem Universitätsabschluss Uganda verlassen, um
nach England zu gehen. Damals wie heute wurden die-
jenigen sehr beneidet, die eine solche Möglichkeit hatten,
in die »outside countries« zu gehen, wie man sie voller
Bewunderung nannte. Die »outside countries« repräsen-
tierten neue berufliche Möglichkeiten, Erfolg, Status und
für viele junge Menschen das »Cool-sein«. Auch ich bewun-
derte meine Schwester sehr. Wir waren eine Familie aus
der ugandischen Mittelschicht. Mein Vater war Ingenieur,
meine Mutter Lehrerin und später Kleinunternehmerin.
Schon als kleines Mädchen hatte ich Bücher verschlungen
und zusammen mit meinen Geschwistern und Freunden
aus der Nachbarschaft ferngesehen und Videos angeschaut.
Ich stellte mir vor, wie meine Schwester wie ein Filmstar
die Londoner Straßen entlangflanierte und in ihren kurzen
Urlauben erschien sie mir glamourös und »anders« als wir.
Als sie mich mit schwesterlichem Rat dabei unterstützte,
Fuß in Deutschland zu fassen, erzählte sie mir, wie wenig
glamourös ihre Zeit in England zwischen Studium und
Jobben war. Sie beschrieb das Gefühl, wie sie sich plötz-
lich mit ihrer eigenen Veränderung konfrontiert fand. Da
war nichts mehr von mittelständischer Verwöhntheit übrig.
Inzwischen konnten wir darüber lachen. Ich war dank-
bar, es leichter als sie gehabt zu haben, weil sie mir nahe
war und die deutsche Familie ihres Mannes mich herzlich
aufnahm. Von ihr und später auch von Freunden, die wie
wir auf der Suche nach neuem Glück im Westen ihre Hei-
matländer verlassen hatten – manche von ihnen schwer
belastet von Erinnerungen an Armut, Kriegserlebnisse und
Flucht – habe ich gelernt, wie man die schwierigen Pha-
sen des Migrantendaseins überwindet: indem man geht,
als hätte man Ölquellen im Wohnzimmer … und lacht, als
hätte man Goldminen im Hinterhof (frei übersetzt nach
dem Gedicht von Maya Angelou 1978, »Still I Rise« in
»And Still I Rise«, Virago Press, 2009).
Und dann stand ich Ende 2011 an einem Scheideweg.
Gleich nach einem erfolgreichen Magister-Abschluss in
Anglistik/Amerikanischer Sprache und Literatur, Medien
wissenschaft und Ethnologie 2009 an der Rheinische-
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hatte ich das Glück,
schnell eine Stelle im Bereich PR/Unternehmenskommu-
nikation in Bonn zu finden. Als ich dann etwa zwei Jahre
später meine Stelle aufgrund einer betrieblichen Umstruk-
turierung verlor, blieb ich zuversichtlich, dass ich rasch wie-
der Arbeit finden würde.