aviso 3 | 2017
AFRIKA IN BAYERN
COLLOQUIUM
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deutschen Geschichten und Zukünften verbun-
den ist. Es geht um Globalisierung und Migration,
Kolonialismus und Erinnerung, das Eintreten
für Menschenrechte und gegen Diskriminie-
rung, um Ethik, Technologie, Kommunikation
und Ökologie in Afrika und der verbandelten
Welt.
aviso:
Die Programme der letzten Jahre zeigen
nicht nur einen weit gesteckten thematischen
Rahmen. Sie gehen mit ihren Formaten über ein
reines Literaturfestival weit hinaus. Sie bleiben
dennoch bei dieser Bezeichnung. Warum?
OFUATEY-ALAZARD:
Wir setzen ein Thema, das
sich dann als roter Faden durch alle Veranstal-
tungsmodule zieht. So stellen wir eine gewisse
Kohärenz sicher, lassen aber den nötigen Frei-
raum, der es den Beteiligten – die aus sehr un-
terschiedlichen geografischen Räumen, professi-
onellen Kontexten, politischen Positionierungen
heraus beim Festival zusammentreffen – erlaubt,
miteinander in einen fruchtbaren Dialog zu kom-
men. Da sitzt dann der ältere nigerianische Har-
vardprofessor mit einem jungen britischen Hip
Hop Künstler und einer haitianischen Autorin
mittleren Alters in einem Panel, nachdem eine
deutsche Keynotesprecherin zur Rolle von Audre
Lorde in der afrodeutschen Frauenbewegung
gesprochen hat... Uns ist es wichtig, die Gren-
zen zwischen all diesen Räumen in der gegebe-
nen Durchlässigkeit sichtbar zu machen, und
das Feedback, das wir erhalten, gibt uns Recht.
Das Festival arbeitet mit einem erweiterten
Literaturbegriff, der mehr umfasst als nur das
geschriebene/gedruckte Wort – in diesem Sin-
ne drückt sich die Wortkunst »Literatur« für
uns ebenfalls in oralen, digitalen, performati-
ven, visuellen und musikalischen Beiträgen aus.
Dabei sucht das Festival nach Schnittstellen
zwischen Schriftsteller*innen, Aktivist*innen,
Politiker*innen und Wissenschaftler*innen –
und findet sie oft in Personalunion in einzelnen
Intellektuellen aus Afrika oder den afrikanischen
Diasporas.
aviso:
Kann Literatur – so verstanden – gesell-
schaftlichen Wandel befördern? Welche Rolle
spielt das Festival für Veränderungsprozesse?
ARNDT:
Literatur und Kunst bilden ja die Gesell-
schaft nicht einfach ab, sie sind ein Teil von ihr.
Dabei können literarische und künstlerische Texte
Menschen berühren, zum Lachen oder Weinen
und natürlich zum Nachdenken bringen und
sogar dazu, einen Perspektivwechsel zu wa-
gen. Literatur ist seit jeher beides: ein Zuhause
für konventionelle Ansichten einer Gesellschaft so-
wie deren kritische Begleiterin. Poetik und ande-
re kulturelle Praxen sind ebenso wissend wie etwa die
Wissenschaften, nur können sie manchmal viel poin-
tierter, eindringlicher und auch träumender als diese
denken.
OFUATEY-ALAZARD:
Für uns ist das Festival auch so eine Art
»Zukunftslabor«. Wo sind durch monolithische Geschichts-
narrative oder eurozentristische Vorstellungen von »Hoch-
kultur« Leerstellen und blinde Flecken entstanden, wer
spricht laut und wer wird nicht gehört? Wie wirkt eine nicht
erinnerte Vergangenheit heute in Diskursen und Strukturen
fort? Wie lässt sich, gespeist durch unseren kritischen Blick
auf diese Vergangenheit und Gegenwart, Zukunft neu oder
anders denken? Wir glauben an die Polyphonie und daran,
dass es keine Universalität gibt. Für das, was wir als Pluri-
versalität begreifen, müssen Räume geschaffen werden und
dazu wollen wir beitragen – so herausfordernd das oft auch
noch ist.
aviso:
So ein Festival klingt nach jeder Menge Arbeit. Wie
bewerkstelligen Sie das neben ihren anderen Aufgaben?
ARNDT:
Oh, da haben Sie Recht. Aber wir stehen ja nicht
alleine da. Wir sind Teil eines wunderbaren Teams, das sich
aus Wissenschaftler*innen verschiedener Generationen und
Disziplinen zusammensetzt – aus der BIGSAS und darüber
hinaus.
OFUATEY-ALAZARD:
Absolut. Die Unterstützung der BIGSAS
ist wirklich zentral für das Bestehen des Festivals. Ohne
die Eigenmittel durch die BIGSAS, die im Schnitt 20% des
Gesamtbudgets abdecken, hätten wir bei der Drittmittel
akquise wirklich schlechte Karten. Schon so ist es manchmal
ganz schön schwierig, jedes Jahr aufs Neue die Finanzierung
für das nächste Festival über Antragsstellungen bei verschie-
denen Förderinstitutionen zu sichern, aber die letzten sie-
ben Jahre waren trotzdem eine große Bereicherung. Und es
gibt Institutionen, die uns über die Jahre, natürlich immer
im Rahmen ihrer Möglichkeiten, die Treue gehalten haben.
Dazu zählen die Kulturabteilung des Auswärtigen Amts so-
wie auch das Bayerische Staatsministerium für Bildung und
Kultus, Wissenschaft und Kunst, das uns auch dieses Jahr
wieder unterstützt.
aviso:
Wie beurteilen Sie dieses Festival im Sinne seiner Wir-
kung – Stichwort: Nachhaltigkeit?
Professorin Dr. Susan Arndt
lehrt seit 2010
Transkulturelle Anglistik an der Universität
Bayreuth und ist seit 2016 Sprecherin des For-
schungsverbundes Future Migration. Net-
work for Cultural Diversity. Sie arbeitet
zu Literaturen britischer, nigerianischer, süd-
afrikanischer, karibischer und afrodeut-
scher Autor*innen sowie zu Theoriekonzepten
der Postcolonial und Gender Studies.