Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 1/14) - page 39

Europäische Wanderbewegungen und Arbeitsmarktintegration: Die Entwicklungen am deutschen Arbeitsmarkt
Einsichten und Perspektiven 1 | 14
39
21 Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration: Erfolgsfall Europa? Folgen und Herausforderungen der EU-Frei-
zügigkeit für Deutschland. Jahresgutachten 2013, Berlin 2013, S. 120. Vgl. auch Stefan Luft: Herausforderungen europäischer Grenzpolitik,
in: Aus Politik und Zeitgeschichte 47 (2013), S. 13–17, hier S. 14.
22 Bundesagentur für Arbeit: Perspektive 2025: Fachkräfte für Deutschland, Nürnberg 2011; Herbert Brücker: Auswirkungen der Einwande-
rung auf Arbeitsmarkt und Sozialstaat: Neue Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für die Einwanderungspolitik, Gütersloh 2013; Johann
Fuchs/Doris Söhnlein/Brigitte Weber: Projektion des Arbeitskräfteangebots bis 2050: Rückgang und Alterung sind nicht mehr aufzuhalten,
IAB-Kurzbericht 16/2011, Nürnberg 2011.
23 Bram Lancee: Ängste, die Abwehr auslösen. Wer den Job verliert, neigt eher zu migrantenfeindlichen Einstellungen, in: WZB Mitteilungen,
Heft 142, Dezember 2013, Berlin 2013, S. 16–17.
Europa ist auf „Wanderschaft“. Damit sind Herausforde-
rungen mit der Freizügigkeit für Bund, Länder, Kommunen
und die Europäische Union verbunden: die Eingliederung
der Eingewanderten in den Arbeitsmarkt, die Verhinderung
von Lohndumping, die Integration in den Bereichen Bil-
dung, Wohnen oder auch Gesundheit und die Integration
der Kinder von Zuwanderern. Auf der makroökonomi-
schen Ebene ist es eine zentrale Herausforderung für die eu-
ropäische Politik, den durch diese Migrationsbewegungen
unter den Mitgliedstaaten entstehenden sozialen und politi-
schen Ungleichgewichten entgegenzuwirken. Das System
der sozialen Wohlfahrt ist nationalstaatlich geregelt und fi-
nanziert, „aber es wird europäisch in Anspruch genommen.
Dieses Auseinanderfallen von Standardsetzung, Finanzie-
rung und Inanspruchnahme ist nicht unproblematisch,
denn es kann asymmetrische Belastungen in einem symme-
trischen Wanderungsraum erzeugen. Bei der politischen
Weiterentwicklung des sozialenWohlfahrtsstaates muss da-
her sehr viel stärker als bisher darauf geachtet werden, dass
Gesetze und Verordnungen auch in Bezug auf Wanderun-
gen europatauglich sind.“
21
Aus ökonomischer Sicht stellt Zuwanderung einen
Baustein zur Fachkräftesicherung dar. Die gegenwärtige Si-
tuation einer hohen Fachkräftenachfrage mit regionalen
und/oder beruflichen Engpässen mag noch zu einem guten
Teil konjunkturell bedingt sein. Die Situation wird sich aber
mittel- und langfristig verstärken. Der demografische Wan-
del in Deutschland wird zu deutlichen Rückgängen der Be-
völkerung im erwerbsfähigen Alter führen. Daher und auf-
grund der erwarteten hohen Nachfrage nach qualifizierten
Arbeitskräften ist eine Verknappung insbesondere bei qua-
lifizierten Arbeitskräften zu erwarten.
Wenn Firmen keine Arbeitskräfte finden, dann ent-
wickeln sie Ausweichstrategien mit Folgen wie z.B. sinken-
den Investitionen, Arbeitsplatzverdichtung, Automatisie-
rung, Innovations- und Wachstumsbremsen sowie natür-
lich der Verlagerung vonUnternehmen bzw. Arbeitsplätzen
ins Ausland. Um diese negativen Folgen zu verhindern, ist
für Deutschland, als einem wissens- und innovationstarken
Land eine nachhaltige Fachkräftesicherung notwendig.
Dies stellt gleichzeitig eine quantitative als auch qualitative
Herausforderung dar. Quantitativ bedeutet in diesem Zu-
sammenhang den Rückgang des Erwerbspersonenpotenzi-
als abzumildern – dies kommt auch den öffentlichen Haus-
halten und sozialen Sicherungssystemen zugute. Qualitativ
heißt: Eine Wissensgesellschaft erfordert vielfach neue oder
andere Qualifikationen. Erfolgreiche Strategien sind einer-
seits im Inland zu entwickeln, beispielsweise durch die Er-
höhung des inländischen Potenzials an qualifizierten Ar-
beitskräften sowie die Steigerung der Wertschöpfung der
Arbeitskräfte (z.B. durch eine Erhöhung der Arbeitszeitvo-
lumina durch verstärkte und verbesserte Ausbildung und
Qualifizierung); andererseits extern in Form von Zuwande-
rung von qualifizierten Arbeitskräften.
22
Eine wichtige Voraussetzung ist allerdings die Ak-
zeptanz von Zuwanderung und Integration in der aufneh-
menden Gesellschaft. In Deutschland sind negative Einstel-
lungen zur Zuwanderung weit verbreitet. Rund 35% der
Befragten im Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) geben an,
dass sie über Zuwanderung nach Deutschland sehr besorgt
seien; diese Sorgen könnten als Indikatoren für die negative
Einstellung zur Zuwanderung interpretiert werden.
23
Die
Akzeptanz von Ausländern und der Einwanderungspolitik
sinkt in der einheimischen Bevölkerung, je schlechter die
Migranten und ihre Nachkommen in den Arbeitsmarkt in-
tegriert werden. Sie steigt mit der Zuwanderung von quali-
fizierten Arbeitskräften. Berechtigte Bedenken sind ernst
zu nehmen und es ist notwendig, sich mit ihnen auseinan-
derzusetzen und dabei sind Fehleinschätzungen zu wider-
legen. Migration darf aber auch nicht nur optimistisch dar-
gestellt werden, denn Probleme existieren und diese Pro-
bleme sind klar zu benennen. Sie dürfen nicht aufgrund
einer politischen Korrektheit tabuisiert oder verschwiegen
werden (z.B. Zwangsprostitution, aggressives Betteln,
Wohnraum- und Wohnumfeldprobleme). Es ist einerseits
notwendig Lösungen im Dialog zu erarbeiten und anderer-
seits sind die Entwicklungen sorgsam zu beobachten.
Einwanderungspolitik und Integrationspolitik sind
zwei Seiten einer Medaille: Ohne eine gezielte Steuerung der
Zuwanderung ist eine Integrationspolitik zum Scheitern
verurteilt, während umgekehrt die Regulation von Migra-
tion auf eine Integrationspolitik angewiesen ist, die die Ar-
beitsmarktpartizipation betroffener Menschen unterstützt
und deren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erleichtert.
In beiden Feldern bestehen immer noch erhebliche Defizi-
te. Die Verbindung von Migration mit Integration ist uner-
lässlich. Eine herausragende Rolle kommt der Integration,
aber v.a. der Qualität der Integration zu.
1...,29,30,31,32,33,34,35,36,37,38 40,41,42,43,44,45,46,47,48,49,...76
Powered by FlippingBook