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Von der Perestroika zur Katastroika, Teil 2
Einsichten und Perspektiven 2 | 16
beraubt würden.
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Die ökologischen Dramen, die sich
vielerorts abspielten, wurden als hochemotionalisierte
Bedrohungsszenarien inszeniert, um den Wunsch nach
mehr Souveränitätsrechten wirkungsvoll zum Ausdruck
zu bringen.
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Ein weiterer permanenter Zankapfel war die einseitige
Sprachenpolitik. Während alle Nichtrussen des Russi-
schen mächtig sein sollten, brauchte die russischspra-
chige Minderheit in den nichtrussischen Republiken die
dortige National- und Landessprache nicht zu erlernen.
Dadurch wurde die Integration der russischen Minder-
heit erschwert und das Russische privilegiert. Die Brisanz
der Sprachenfrage hatten die Verantwortlichen lange Zeit
ignoriert. Typisch dafür sind die arroganten Ausführungen
der russischen Redakteure einer Parteizeitung in Usbekis-
tan, die 1987 in ihrem instinktlosen Atheismus konsta-
tierten, dass „man die einprägsamen Worte Puschkins, die
vitale Kraft der Worte Gorkijs, die Schärfe und Gewalt
der Rede Lenins nicht mit dem unverständlichen Gemur-
mel und den abstrusen Predigten des Korans vergleichen
kann“.
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Angesichts derartiger diskriminierender Wer-
tungen begannen die Sowjetrepubliken, immer mehr auf
den verfassungsmäßigen Schutz ihrer Nationalsprachen zu
pochen, um deren Marginalisierung durch die Hegemo-
nie des Russischen entschlossen entgegen zu treten.
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Die Rache der Geschichte
Die Perestroika musste auch die nationalitätenpolitische
Brutalität des Stalinismus ausbaden, als die Wunden
der Geschichte mit Glasnost schmerzhaft aufbrachen.
Dadurch gewannen nationale Opfernarrative an Bedeu-
tung. Historischer Brennstoff befeuerte die Kritik an den
58 Die Regierungen der einzelnen Sowjetrepubliken durften nur maximal
zehn Prozent der Produktionstätigkeit auf ihren Territorien selbst ver-
walten, weil sich die mächtigen Moskauer Zentralministerien durch die
Kontrolle über die bedeutendsten Unternehmen in den Sowjetrepubliken
eigene unionsweite Wirtschaftsimperien aufgebaut hatten. Vgl. Uwe Hal-
bach: Der Zerfall der Union. Vom nationalen Aufbegehren zur Souverani-
tät, in: Eduard Schewardnadse/Andrej Gurkov/Wolfgang Eichwede (Hg.):
Revolution in Moskau. Der Putsch und das Ende der Sowjetunion, Rein-
bek bei Hamburg 1991, S. 176–195, hier S. 186; Gerhard Simon: Waren
die Republiken der Sowjetunion Kolonien?, in: Guido Hausmann/Angela
Rustemeyer (Hg.): Imperienvergleich. Beispiele und Ansätze aus osteuro-
päischer Perspektive. Festschrift für Andreas Kappeler, Wiesbaden 2009,
S. 105–122.
59 Zu diesem „Öko-Nationalismus“ vgl. Dawson (wie Anm. 4); Klaus Gestwa:
Ökologischer Notstand und sozialer Protest. Der umwelthistorische Blick
auf die Reformunfähigkeit und den Zerfall der Sowjetunion, in: Archiv für
Sozialgeschichte 43 (2003), S. 349–384.
60 Halbach (wie Anm. 57), S. 185.
61 Smith (wie Anm. 54), S. 244–251.
gegenwärtigen Missständen, um dem Ruf nach der Befrei-
ung vom Moskauer Diktat weitere Legitimation und
Motivation zu geben.
Im Baltikum entwickelte sich die öffentliche Thema-
tisierung des Hitler-Stalin-Pakts zu einem besonderen
Politikum.
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Mit diesem Teufelspakt hatten die beiden
skrupellosen Diktatoren im August 1939 Ostmitteleu-
ropa unter sich aufgeteilt, damit die baltischen Staaten
ihrer Eigenständigkeit beraubt und anschließend mit Ter-
ror- und Deportationswellen die dort bestehenden sozi-
alen Ordnungen zerstört. Um die gewaltsame Annexion
des Baltikums zu betonen und zugleich für die Unabhän-
gigkeit der baltischen Staaten zu demonstrieren, bildeten
am 23. August 1989 – anlässlich des fünfzigsten Jahrestags
des verbrecherischen Hitler-Stalin-Pakts – rund zwei Mil-
lionen baltische Sowjetbürger über eine Länge von 600
Kilometern von Tallinn über Riga nach Vilnius eine Men-
schenkette, die als „Baltischer Weg“ große internationale
Aufmerksamkeit fand. Mehrere hunderttausend Balten
kamen immer wieder auch zu großen Sängerfesten zusam-
men, um in bewegenden Liedern der eigenen Geschichte
zu gedenken und ihr nationales Aufbegehren mit einer
„singenden Revolution“ musikalisch zum Ausdruck zu
bringen.
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Der „Baltische Weg“: Menschenkette von Vilnius nach Riga und Tallin, 1989
Foto: ullstein bild/Sputnik
62 Aron (wie Anm. 11), S. 151–165; Altrichter (wie Anm. 38), S. 272–290.
63 Egidijus Vareikis: Die baltischen Staaten als Katalysatoren des Zerfalls der
UdSSR, in: Malek/Schor-Tschudnowskaja (wie Anm. 49), S. 311–326; Mi-
chael Garleff: Die baltischen Länder. Estland, Lettland, Litauen vom Mit-
telalter bis zur Gegenwart, Regensburg 2001, S. 180–186.