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Rezeption der Weißen Rose in der Sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR

Einsichten und Perspektiven 3 | 16

funktion der Münchner Widerstandsgruppe hervor. Er

forderte die Studierenden wieder mit Bezug auf Friedrich

Schiller auf, wenn nötig Widerstand zu leisten:

„Auch die Geschwister Scholl waren nicht Politiker im land-

läufigen Sinn. Ihre Flugblätter sind Merkmale der großen

Idee der Menschheit. Wir werden uns immer wieder daran

aufzurichten und zu erwärmen haben wie an dem reinen

Ernst Friedrich Schillers. Sache der Studenten wird es immer

bleiben, wie damals in München, die Fragen vom innersten

Kern her zu stellen, radikal und ohne Rücksicht auf Konven-

tionen und – seinen Kopf für die Antwort hinzuhalten.“ 

13

Den dritten Beitrag der Themenseite in „Der Tat“

lieferte Ernst Winter (1893–1958), 

14

Hauptreferent für

13 Harald Poelchau: Opfer der Jugend/Dem Gedenken der Geschwister

Scholl, in: Die Tat 3/3 (1949), Nr. 3, S. 3.

14 Ernst Winter wurde 1920 Mitglied der KPD und war zwischen 1924 und

1933 Abgeordneter im Landtag von Braunschweig und Funktionär auf

regionaler Parteiebene. Im Dezember 1932 wurde Winter wegen „oppor-

tunistischen Verhaltens“ aus der KPD ausgeschlossen und legte 1933 sein

Mandat nieder. 1945 trat er wieder in die Partei ein und wurde Hauptre-

ferent für Lehrerweiterbildung am Pädagogischen Institut in Ost-Berlin.

1951 wurde er wegen seines verheimlichten Parteiaustritts von 1932 er-

neut aus der KPD ausgeschlossen, Ende 1956 trat er der SED bei.

Lehrerweiterbildung am Pädagogischen Institut in Ost-

Berlin. Auch er unterstrich noch einmal die zukunftswei-

sende Vorbildfunktion der „Geschwister Scholl“ für eine

heranwachsende ostdeutsche Jugend:

„Hans und Sophie Scholl und ihre Freunde sind, wenn

sie als leuchtende Vorbilder in das Bewußtsein unserer

Jugend eingehen, die Gewährsleute für den friedlichen

Wiederaufstieg unseres Volkes. Sie sind Kämpfer und Leh-

rer zugleich. […] Es ist eine Frage des anständigen Cha-

rakters, es ist ihr Heldentum. Und gerade darin sind sie

die echten Vorbilder unserer heutigen Jugend, ,Erziehung

zu selbstständig denkenden und verantwortungsbewußt

handelnden Menschen‘ ist das Grundgesetz der demokra-

tischen Schulreform. Das heißt für unsere Jugend: Lernen,

Erkenntnisse gewinnen und die Erkenntnisse in die verant-

wortungsbewußte Tat für die Gemeinschaft umwandeln!“ 

15

Den offiziellen Artikeln über die Weiße Rose aus der

Zeit der SBZ und frühen DDR ist die unmittelbare Ver-

bindung von Gedenken, Vorbildfunktion und Aufbau

eines neuen, alternativen deutschen Staates gemeinsam.

Dass sich der Aufruf an kommende Generationen von

Schülern und Studenten zu Wachsamkeit, Kampf und

Widerstand mit zunehmender Totalisierung des Regimes

mehr als gewollt auch gegen das neue System wenden

könnte, schien den Autoren anscheinend nicht bewusst.

Ihr Blick richtete sich auf eine Instrumentalisierung der

Weißen Rose im Rahmen sowohl des deutsch-deutschen

als auch internationalen Ideologiestreits im Kalten Krieg

und konzentrierte sich dabei auf die Grundlagen eines

antifaschistischen Neuanfangs.

Ab 1950 fand eine allmähliche Abkehr von der Weißen

Rose als zentralem Leitbild des NS-Widerstands statt. In

der öffentlich verordneten Erinnerungspolitik der jungen

DDR rückten nun vor allem Vertreterinnen und Vertreter

des kommunistischen Widerstands in den Mittelpunkt,

die weitere Benennung von Straßen und Einrichtungen

nach den Geschwistern Scholl empfand man zunehmend

als unverhältnismäßig im Vergleich zum „proletarischen

Widerstand“ und der „Tag der jungen Widerstandskämp-

fer“ wurde nun zum „Tag der Solidarität mit der Jugend

der kolonialen und abhängigen Länder“, allerdings weiter-

hin am 22. Februar veranstaltet. Eine zentral organisierte

Gedenkfeier der FDJ für die Geschwister Scholl fand erst-

mals wieder zum zwanzigsten Todestag 1963 mit Begleit-

material für die verschiedenen Veranstaltungen statt. 

16

15 Ernst Winter: Jugend will echte Vorbilder, in: Die Tat 3/3 (1949), Nr. 3, S. 3.

16 Ernst (wie Anm. 4), S. 47f.

Harald Poelchau, Aufnahme aus dem Jahr 1949

Quelle: ullstein bild – dpa