|26|
aviso 1 | 2014
Der Zahn der Zeit
Colloquium
davon jedes Mal wieder in den Nach-
richten, wenn »die Zeit umgestellt wird«,
nämlich von der Winter- zur Sommer-
zeit und zurück. Da machen die Kühe
Schwierigkeiten, weil ihnen die Stunde
fehlt oder verfrüht kommt. Diese lächer-
liche Stunde wollen sie tagelang nicht
akzeptieren. Der Hund hingegen hat
sich längst vorher von Tag zu Tag umge-
stellt und wird mit zunehmender Tages-
länge früher wach bzw. schläft einfach
am Morgen weiter, bis es für ihn hell
genug fürs Hinausgehen ist. Die Katze
lässt uns zumeist ganz im Unklaren
darüber, wie sie innerlich tickt. Wenn
»ihre Zeit« gekommen ist, um die sie
nur selbst weiß, wird sie zur nächtlichen
Streunerin, und die Kater magern ab,
weil sie kaum noch Zeit haben, sich um
ihr Futter zu kümmern, so sehr nimmt
ihnen ihr Katzen(ge)jammer alle Zeit,
die sie sonst imÜberfluss haben. Wenn
wir es ausnahmsweise einmal nicht all-
zu eilig haben, bekommen wir wenigs-
tens von unseren Haustieren mit, dass
Bestimmtes in ihrem Leben seine Zeit
hat, vor allem solche Vorgänge, die bei
uns selbst von keiner bestimmten Zeit
abhängig sind. In höchst merkwürdi-
gem Gegensatz zu unserer sonstigen
Zeitknappheit haben wir dann sofort
Zeit oder finden sie, wenn es »dafür« an
der Zeit ist. Lang, lang ist’s her, da hatte
sicher auch das Menschengeschlecht
(s)eine Hohe Zeit zu einer bestimmten
Jahreszeit. Der Frühling war es wohl eher
nicht, denn dann wären unsere Klei-
nen ganz unpassend mitten im Winter
zur Welt gekommen. Die Zeit der Fülle,
Spätsommer und Herbst, würden bes-
ser passen für die Hohe Zeit, denn die
Geburten fielen sodann in die gute Zeit
des Frühlings. Was sicher günstig war in
der Steinzeit, als es noch keine geheizten
Häuser und sonstige zivilisatorischen
Annehmlichkeiten gab. Im Herbst ist
bekanntlich auch die Brunftzeit der Hir-
sche. Und wie sie da röhren, dass einem
das Hören vergehen kann. Heftig geht
es dann imWinter bei den Steinböcken
zur Sache, wenn sie um die Gunst der
Steingeißen buhlen. Ihre Paarungszeit
passt bestens für die Geburt der Kitze
im Frühsommer. In manchen Gebirgs-
regionen benehmen sich junge Männer
zur selben Winterszeit ähnlich wie die
Steinböcke. Sie setzen Hörner auf und
halten ihr »Treiben« für Tradition.
Zu spät kommen ist ganz natürlich
Sobald wir uns auch nur ein wenig Zeit
nehmen, ins Leben der Tiere zu blicken,
sehen wir überall ihr Eingebundensein
in Zeitläufe. Sie folgen dem Tag-Nacht-
Wechsel in einem »circa-dianen« Rhyth-
mus, gerade so wie wir (eigentlich) auch.
»Circa« meint, dass der innere Ta-
gesrhythmus dazu neigt, sich über 24
Stunden hinaus etwas in die Länge zu
ziehen. Lässt man ihn frei laufen, was
in unterirdischen Bunkern an dafür
gewonnenen Studierenden und an zahl-
reichen Tierarten schon vor einem hal-
ben Jahrhundert ausprobiert wordenwar,
läuft der innere Rhythmus frei weiter
und verspätet sich zunehmend. Unsere
Neigung zum Zuspätkommen fand so
ihre natürliche Erklärung und sogar die
Anknüpfung an viele andere Lebewesen,
denen es genauso geht. Es ist der Tages-
gangderHelligkeit,derdieinnerenUhren
immer wieder auf die richtige Außen-
zeit zurückstellt. Dieser unterliegt aber
oben
Kohlmeise beim Fütttern eines – fast
schon erwachsenen – Jungvogels.
darunter
Kühe haben Schwierigkeiten mit der
Sommerzeit. »Die zusätzliche Stunde schlägt
sich dann recht schnell im Euter nieder«,
macht Landwirt Günter Knorr deutlich. »Wir
melken deshalb morgens und abends
jeweils eine halbe Stunde früher«, so der
Milchproduzent aus Burgkunstadt-Mainroth im
Landkreis Lichtenfels.
daneben
Singender Zaunkönig bei der Vertei-
digung seines Reviers.
rechts
Röhrender Hirsch während der
Brunftzeit.
© Andreas Trepte | Andi Welz | WIKIMEDIA Commons Highway 45 | Wikipedia, Bill Ebbesen