aviso 1 | 2015
DIGITALE WELTEN
COLLOQUIUM
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gibt. So entstanden im Lauf der Jahre insgesamt vier Kate-
gorien unseres Teilprojekts »Digitales Kulturerbe«, die im
Folgenden näher erläutert bzw. durch Beispiele verdeutlicht
werden:
Existierende Baudenkmäler
In enger Kooperation mit dem Berliner Architektur- und
Dokumentations-Spezialisten Fa. »illustrated architecture«
haben wir in den letzten zehn Jahren berühmte und histo-
risch bedeutende Gebäude wie z. B. Königsschlösser und
Barock-Kirchen photogrammetrisch in 1-2 cm Auflösung
außen (Beispiele Schloss Nymphenburg, Neuschwanstein,
Linderhof, Herrenchiemsee) und 1-2 mm Auflösung innen
(Thron- und Sängersaal in Neuschwanstein, Spiegelsaal inHer-
renchiemsee, Andechs, Wies etc.) räumlich (in 3D) modelliert.
DABEI KAMEN SOWOHL
im Außen- wie auch im Innen-
Bereich Laserscanner der Fa. Zoller und Fröhlich, wie sie vor-
mals an der TUMünchen für die Robotik entwickelt wurden,
zum Einsatz; zunächst auch eine ursprünglich für Marsmis-
sionen entwickelte Zeilen-Panoramakamera, inzwischen vor
allem aber hochauflösende Flächenkameras.
Damit ist schon angedeutet, dass für den Außenbereich der
Baudenkmäler die für Landschaften und Städte eingesetzte
Flugzeug-Kamera-Befliegung nicht ausreicht, inzwischen
setzen wir daher immer stärker auch auf die Multicopter-
(Drohnen-)Befliegung. Aus deren (Mono-)Bildern lassen sich
die relativen Aufnahmepositionen (»Pseudo-Stereoansich-
ten«) errechnen, aus denen dann über SGM die 3D-Modelle
entstehen.
DIE NUTZUNG DER
Laserscan-Technologie, die von jedem
Standort aus räumliche Punktwolken generiert und von Farb-
kameras, die dann in welcher Form auch immer die Textur-
information beitragen, war von Anfang an (um 2003) der
favorisierte Ansatz für die Innenräume. Brauchte der Laser-
scanner vor etwa zehn Jahren noch 30 Minuten für einen
Rundumscan, bis er dann an der nächsten Positionmit einem
weiteren Scan beginnen konnte und die erwähnte Zeilen-
Panoramakamera ca. zwei Stunden für den Rundumblick an
einer Stelle, so hat der Scanner bei sieben Minuten Scanzeit
jetzt selbst schon eine kleine Farbkamera für die grobe Einfär-
bung der Punktwolken. Und für die hochqualitativen Bilder
braucht dann z. B. eine extrem lichtempfindliche und hochdy-
namische sCMOS-Kamera des Kelheimer Kameraspezialisten
Fa. PCO gerade noch 3-4Minuten. Die algorithmische »Kunst«
besteht dann darin, die etwas gröberen Laserpunktwolken
(1-2 mm) mit den aus den Kamerafeinbildern (0.1 bis 2 mm)
rechenbaren Punktwolken zueinander zu kalibrieren (orien-
tieren) und dann zu verschmelzen. Wir sprechen daher auch
vom multiskaligen MuSe-(MultiSensor-)Konzept, bei dem
unterschiedliche Sensortypen mit modernen Methoden der
Fotogrammetrie zusammengeführt werden. Dabei stellen die
räumlichen Punktwolken für den Laserscanner wie für das
Kamerasystem die gemeinsame Basis dar.
Mit Unterstützung aus demDLR-Institut wurde die automa-
tische Punktwolkenvermaschung, die Punktwolkenorientie-
rung, das sog. Löcherschließen und die Texturaufbringung mit
Farbausgleich in den letzten Jahren weitgehend automatisiert.
IN EINEM DER
bisher spektakulärsten Projekte, der von der
bayrischen Forschungsstiftung als Verbundprojekt geförderten,
hochgenauen 3D-(Innenraum-)Modellierung des Markgräf-
lichen Opernhauses in Bayreuth – einem Welterbe-Objekt –
wurde die Methodik zur Reife gebracht, es ist für uns daher
das MuSe-Projekt Bayreuth. Die speziell aufgebaute MuSe-
Kamera mit sCMOS-Technologie kannmit der Hand geführt
und um ein LED-Flash ergänzt werden. Die Aufnahmen
erfolgen mit 10 bis 30 Vollbildern pro Sekunde, so dass die
aufzunehmenden Objekte gleichsam abgefilmt werden.
Für jedes Kamerabild wird auf Basis einer Vielzahl von Nach-
barnmit dem SGM-Algorithmus ein perspektivisches Tiefen-
bild berechnet. Die einzelnen Tiefenbilder (Punktwolken) wer-
den vermascht, die »Teilmeshes« untereinander bzw. mit den
Teilmeshes des Laserscanners fusioniert und dann texturiert.
DIE FERTIGENDATEN
werden dann z. B. in eine »Gamingengine«
wie die Echtzeitvisualisierungssoftware Unity übertragen und
können dort animiert werden. Grafik-Spezialisten korrigieren
Modellierungsfehler und Artefakte und realisieren Beleuch-
tungsmodelle. Schwierige Oberflächen wie Vergoldungen,
Tapeten und Stoffe stellen allerdings höchste Ansprüche an
die 3D-Modellierung.
Quasi als Test für die Anwendbarkeit der Technik auf größere
Objekte (statt Innenräume) wurde der sog. Puttenschlitten
Ludwigs II. im Münchner Marstallmuseum, das weltweit
erste beleuchtete Fahrzeug, in 3D modelliert. Wegen seiner
vielen glänzenden Flächen stellte er eine Herausforderung für
die skizzierten Algorithmen und den sog. Farbausgleich dar.
Nie realisierte Projekte
Es gibt in Bayern etliche Baupläne und technische Projekte,
wie sie vor allem von König Ludwig II. geplant waren. Dies
sind z. B. Planungen für eine Wagner-Oper am Isarhochufer,
nicht realisierte Pläne in Schloss Neuschwanstein, Schloss Fal-
kenstein, chinesisches und byzantinisches Schloss, Chiemsee-
Barke, frühe Luftschiff-Entwürfe, Seilbahn über den Alpsee.
Seine Wünsche nach Flugmaschinen und speziell nach der
von einem Ballon entlasteten Seilbahn über den Alpsee, ob-
wohl visionär, galten damals als Hirngespinste und trugen zu
seiner Entmündigung bei.
Zerstörte Architekturen und Objekte
Dazu gehören etwa der Wintergarten auf der Münche-
ner Residenz, das Brunnenhaus in Bad Kissingen oder der
»Bucentaur«, das Prachtschiff der bayerischen Herzöge auf
dem Starnberger See. Hier dienen erste Schwarzweiß-Fotos,
Stiche und ggf. Aquarelle als Haupt-Quelle.