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aviso 1 | 2015
DIGITALE WELTEN
COLLOQUIUM
Professor Dr. Gerd Hirzinger
, Träger des Maximiliansordens,
leitete von 1992 bis 2012 das Institut für Robotik und Mecha-
tronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in
Oberpfaffenhofen, eines der weltweit renommiertesten Insti-
tute für angewandte Roboterforschung.
Zerstörte, aber teilweise wiederaufgebaute
Architekturen
Diese Art von Architekturen lassen sich virtuell komplettieren.
Die quasi als Rohbaumit Ziegelmauerwerk wieder aufgebaute,
im Krieg völlig zerstörte Allerheiligenhofkirche in München
wurde mit dem Laserscanner in 3D eingescannt und dann
nach einemAquarell von Nachtmann, der einzig verfügbaren
Farbinformation, texturiert und virtuell begehbar gemacht.
Der Zeittunnel als Instrument des digitalen Kulturerbes
Die oben erwähnten Bauten und Technologieobjekte sind
zum Teil unterschiedlichen Epochen zugehörig. Es lag daher
nahe, einen »Zeittunnel« zu konzipieren, den man interak-
tiv durchfliegen kann und an dessen Wänden die Jahreszah-
len vorbeigleiten wie auch die Köpfe von Personen, die mit
3D-Objekten in Beziehung stehen, inklusive den zum Teil
komplexen Vernetzungen, immer vor demHintergrund, dass
man dann die der jeweiligen Zeit zugeordneten 3D-Objekte
(vielfach Bauten) virtuell besuchen (z. B. aus der umgeben-
den Landschaft hineinfliegen) und betrachten kann und
detaillierte Erklärungen z. B. über Gemälde oder Stuckarbei-
ten anklicken kann. Im Technologiekontext ist geplant, his-
torische Maschinen etwa aus dem Deutschen Museum nicht
nur statisch zu visualisieren, sondern virtuell zum Leben zu
erwecken und Funktionsprinzipien zu erklären. Ein Vorläufer
des Zeittunnels wurde vomAutor schon vor einigen Jahren für
den Multimediaraum im Eingangsbereich von Schloss Nym-
phenburg realisiert. Dort können Besucher an zwei PCs über
eine Art Schieberegler mit der Maus am Bildschirm über die
Jahrhunderte interaktiv den Bauzustand des Schlosskomple-
xes sehen, die für die Gartenplanung mit ihren Parkburgen
bedeutsame Idee der Sichtachsen wie auch die Technik-Ent-
wicklung des Brunnenhauses, das noch heute die Springbrun-
nen der Schlossanlage antreibt. Darüber hinaus wurde in dem
mit Laserscanner und Kamera fotorealistisch in 3D model-
lierten kleinen Lustschlösschen Badenburg Wasser virtuell
in das große Bad »eingelassen«, obwohl es dort seit mehr als
hundert Jahren kein Wasser mehr gibt.
DER ZEITTUNNEL IST
das zentrale Element der »virtuellen
Zeitmaschine«, mit der das Startup Time in the Box auf eine
mit einer Zeitachse gesteuerte Wissens- und Erlebnisplatt-
form für den virtuellen Geschichtstourismus zielt. Kern die-
ser Web-Applikation sind interaktive 3D-Welten, die histo-
risch relevante Architekturen, Ereignisse, Kunstexponate und
Erfindungen in Echtzeit visualisieren und erlebbar machen
(wie z. B. auch München um 1910 oder um 1600).
Allerdings ist auch hier noch viel Entwicklungsarbeit zu leis-
ten. Bei den web-optimierten Virtual Reality Szenen werden
Daten in Dimensionen von ca. 1-50 MB transferiert. Diese
Daten werden entweder in einem kompletten Paket geliefert
oder sie werden ähnlich wie beim Videocontent »gestreamt«,
d. h. der Nutzer befindet sich nach demAufrufen einer Szene
sofort in der interaktiven 3D-Welt, Oberflächentexturen und
detaillierte 3D-Objekte werden dynamisch nachgeladen. Mit
Hilfe der Breitbandanbindung können die Download- und
Upload-Zeiten auf wenige Sekunden reduziert werden, was
sich in einer gesteigerten »User Experience« auswirkt.
Ausblick
Unser langfristig verfolgtes Ziel lautet, die attraktivsten Land-
schaftsregionen, Baudenkmäler und historischen (Techno-
logie-)Entwicklungen Bayerns in bisher nicht gekannter
Detaillierung in 3D zumodellieren, interaktiv barrierefrei im
Internet befliegbar, begehbar bzw. betrachtbar zumachen und
geschichtliche Zusammenhänge in 3D begreifbar zu machen.
DIE NEUE WEBGL-TECHNOLOGIE
wird es erlauben, die dabei
anfallenden riesigen Datenmengen in Echtzeit zu visualisieren
(ohne Laden von Spezialsoftware im Browser) und über die
Entwicklung einer gemeinsamen Plattform- und Server-Tech-
nologie von der Landschaft mit sukzessive höher werdender
Auflösung in die Prunkbauten zu »fliegen« und wieder heraus.
Damit lassen sich gleich mehrere Teil-Ziele erreichen:
Q
Eine weltweite Werbung für den Freistaat Bayern in bis-
her nicht gekannter Form, dabei künftig auch unterstüt-
zende Technologien nutzend wie das Internet-Fernsehen
IPTV oder die von Facebook für fast 2 Milliarden gekaufte
Oculus Rift-Datenbrillen-Technik.
Q
Eine ebenso weltweit sichtbare Demonstration bayrischer
Hochtechnologie in Form des »Big-Data-Handling« und
der intelligenten, zukunftsorientierten Breitbandkabel-
Nutzung des Internet (als Leuchtturm-Projekt der Digi-
talisierung).
Q
Unterstützung der Schlösser-und Seenverwaltung, der
Obersten Baubehörde, der Hochbauämter und des Lan-
desamts für Denkmalpflege mit ihren Restauratoren und
Konservatoren mit einem ganzheitlichen, »multiskaligen«
Ansatz der 3D-Gebäudemodellierung, aus der sich be-
liebige 2D-Schnitte und 3D-Teilmodelle mit hochgenauen
Detailbildern (bis zu 0,25 mm für die Ansprüche der Res-
tauratoren) und Orthofotos ableiten lassen.
Q
Eine Art »Quantensprung« auch für den sog. Bayern-
Atlas der Vermessungsämter für Landschaften von 2D
auf 3D.
GEHEN SIE ALSO
mit auf die Reise ins virtuelle Bayern, tau-
chen Sie in der Badenburg unter, fliegen Sie über die Alpen,
gondeln Sie im Bucentaur über den Starnberger See. Und es
dauert nicht mehr lang, dann können Sie imZeittunnel durch
das historische Bayern spazieren gehen.