aviso 1 | 2015
DIGITALE WELTEN
COLLOQUIUM
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IM OKTOBER 2014
sind die Krautreporter
(krautreporter.de)
mit ihrer Website an den Start gegangen, aufmerksam beob-
achtet von weiten Teilen der Medienbranche. Denn die rund
dreißig Krautreporter, darunter viele bekannte Namen, wol-
len neue Wege im Internetjournalismus gehen. Sie wollen
zeigen, wie Qualität in der Netzwelt aussehen und funktio-
nieren kann. Einerseits bietet das Internet fantastische Mög-
lichkeiten: Multimedialität, Partizipation, Interaktion, schier
endloser Speicherplatz und hohe Aktualität sind nur einige
Stichworte dafür. Andererseits hat der Journalismus dieses
technische Potenzial bisher noch kaum ausgeschöpft. Dafür
spielen ökonomische Faktoren eine Rolle: Unter den Inter-
netnutzern ist nach wie vor die Gratismentalität weit verbrei-
tet. Gerade bei journalistischen Informationen ist die Zah-
lungsbereitschaft gering. Und auch die Werbeerlöse blieben
hinter den Erwartungen zurück.
Der Name »Krautreporter« ist einWortspiel – das verdeutschte
»Crowd« steht für die Finanzierung und Unterstützung durch
eine Leser-Community. Gesucht werden Mitglieder, die sich
länger binden und mit einem Jahresbeitrag von 60 Euro
das Projekt fördern wollen. Im Gegenzug sind die Seiten
werbefrei, bieten also einen ungestörten Lesegenuss. Auch
die Jagd nach »Klicks« und der Einfluss von Werbekunden
wird so ausgeschlossen. Noch gibt es allerdings wenige erfolg-
reiche Crowdfunding-Projekte. Eines davon ist die nieder-
ländische Website De Correspondent
(decorrespondent.nl),
die seit September 2013 online ist. Auch sie setzt auf Quali-
tät – durch investigative Recherche, vertiefende Analyse und
Themen, die von den Mainstream-Medien vernachlässigt
werden.
NEBEN DEM QUALITÄTSANSPRUCH
und der Direktfinan-
zierung durch eine Leser-Community kommt bei den
Krautreportern ein Drittes hinzu: In vielen Redaktionen
fehlt so etwas wie eine Lernkultur. Selten wird mit den neuen
digitalen Optionen systematisch experimentiert. Mangels
Konkurrenz hat sich der Journalismus viele Jahrzehnte lang
kaum weiterentwickeln müssen. Dies gilt vor allem für die
Tageszeitungen, die oft über ein lokales Monopol verfügen.
Seit dem Einbrechen der Werbeerlöse im Jahr 2002 hat
sich die Lage gründlich geändert. Die Krise hat die Branche
durcheinandergewirbelt, viele Gewissheiten in Frage gestellt
und den Reformdruck erhöht, wobei deutsche Journalisten
im internationalen Vergleich im Umgang mit dem Internet
als zögerlich und defensiv gelten.
Beschleunigung statt Tiefe
Bisher hat der Journalismus das Internet vor allem zur
Beschleunigung der Nachrichtenverbreitung eingesetzt. Kurz-
meldungen, die meist von Agenturen stammen, sind zwar billig,
führen aber auch zur Verknappung und zu mehr Oberfläch-
lichkeit. Daneben wurde vernachlässigt, dass das Internet
auch für analytische und erzählende Beiträge bessere Vor-
aussetzungen bietet als die klassischen Medien. Lange Texte
erfordern jedoch eine gründliche Recherche und einen großen
Aufwand bei der Gestaltung. In vielen Redaktionen, in denen
gespart werden muss, fehlt dafür der Spielraum.
MITDERWEBREPORTAGE
»Snowfall«übereinenSchneesturm
in den Rocky Mountains hat die New York Times im Jahr 2012
Maßstäbe gesetzt und viele Nachahmer gefunden. Mittlerweile
experimentieren auch deutschsprachige Redaktionen wie
die Rhein-Zeitung
(rz-online.de), Zeit Online
(zeit.de),
Spiegel Online
(spiegel.de) und Arte
(arte.tv) mit Webrepor-
tagen. Dafür muss aber auch ein Publikum gefunden werden,
das solche Angebote schätzt. Und die Redaktionen müssen
lernen, wie die User mit den umfangreichen, multimedial
und non-linear gestalteten Texten umgehen. Dafür ist der
permanente Austausch mit den eigenen Lesern ein Vorteil,
wie ihn die Krautreporter mit den rund 19000 zahlenden
Unterstützern haben, die sogar einzelne Absätze in Texten
kommentieren können.
Krautreporter
oder Klickstrecken?
WIE DER JOURNALISMUS SEINEN WEG INS INTERNET
UND AUS DER KRISE FINDET
Text:
Christoph Neuberger