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aviso 1 | 2015

DIGITALE WELTEN

COLLOQUIUM

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Zwanzig Jahre Internetjournalismus

Das Beispiel der Krautreporter zeigt, wo die Spitze

des Internetjournalismus nach zwei Jahrzehnten

steht. Am 25. Oktober 1994 startete das Nachrich-

tenmagazin »Der Spiegel« die angeblich erste pro-

fessionell-journalistische Website weltweit – einen

Tag früher als das Time Magazine. Zum Jubiläum

hat Spiegel Online die wichtigsten Etappen der

eigenen Geschichte in einer Webreportage zusam-

mengefasst. Ebenfalls noch 1994 experimentierten

öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten imWorld

Wide Web, nämlich der WDR und der ORB (der

inzwischen im RBB aufgegangen ist). Die ersten

Tageszeitungen wagten im Frühjahr 1995 den

Sprung ins Netz, nämlich die Schweriner Volks-

zeitung, die taz und die Welt. Spiegel Online ist in

Deutschland nicht nur Vorreiter gewesen, sondern

ist auch Vorbild für einen Beruf und eine Branche

geworden, die tief verunsichert sind. Die heftigen

Konflikte, die beim Spiegel über eine gemeinsame

Linie von Print- und Onlineredaktion geführt wur-

den, belegen, wie schwierig es selbst für das erfolgs-

verwöhnte Nachrichtenmagazin ist, den richtigen

Weg in die Netzwelt zu finden.

Partizipation des Publikums

Der Journalismus sieht sich im Internet mit

Öffentlichkeitsstrukturen konfrontiert, die ihn dazu

zwingen, seine Rolle zu überdenken: In der Ära der

Massenmedien konnten Redaktionen als macht-

volle Schleusenwärter (Gatekeeper) weitgehend

selbst entscheiden, welche Themen und Meinun-

gen über die wenigen Zugänge in die Öffentlich-

keit gelangen. Zumindest technisch gesehen, ist die

Beteiligung an der öffentlichen Kommunikation

nun sehr viel einfacher geworden. Deshalb weckt

das Internet die Hoffnung auf mehr Partizipation

und demokratische Mitbestimmung: Ohne gro-

ßen Aufwand können sich Bürgerinnen und Bür-

ger heute mit einem Kommentar zu Wort melden

oder ein eigenes Angebot einrichten, etwa ein Blog

oder einen Facebook-Account. Das bislang passive,

zumeist schweigende Massenpublikum von Presse

und Rundfunk kann sich im Internet emanzipieren

und zu einer aktiven, diskutierenden Netzgemein-

schaft werden – so haben es Visionäre wie Howard

Rheingold erwartet.

DIESE HOFFNUNG HAT

sich jedoch nur zumTeil

erfüllt, belegen viele Studien: Zwar nutzen die User

die Beteiligungsmöglichkeiten intensiv, wie sie Face-

book, YouTube und Twitter bieten, doch weitaus

eher für Privat- und Unterhaltungszwecke als für

die Beschäftigung mit den harten Themen aus Poli-

tik undWirtschaft. Außerdem bedeutet Teilnahme

noch lange nicht, dass ein einzelner Bürger auch

die öffentliche Meinungsbildung beeinflussen

kann. Schon die extreme Ungleichverteilung der

Aufmerksamkeit im Internet spricht dagegen. Eine

deutliche Mehrheit der Angebote verschwindet im

sogenannten »Long Tail« und wird kaum beachtet.

Gleichwohl: Neben dem Journalismus tritt im

Internet eine Vielzahl anderer Anbieter auf. Nicht

zuletzt sind es die Quellen des Journalismus selbst,

die dort ihre Meldungen undMeinungen publizie-

ren. Politiker und Parteien, Manager und Unter-

nehmen, Sportler und Vereine können sich nun

direkt an ihre Wähler, Konsumenten und Fans wen-

den und müssen nicht mehr den lästigen Umweg

über die Redaktionen gehen, die ihre – oft einseitig

gefärbten – PR-Botschaften prüfen und filtern. Der