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aviso 1 | 2015

DIGITALE WELTEN

COLLOQUIUM

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fügbarkeit und Austauschbarkeit von Nachrichten schwächen

imNetz die Markenbindung und senken die Zahlungsbereit-

schaft. Angesichts der Gratisalternativen sind die Nutzer nicht

bereit, für Journalismus im Internet zu bezahlen. Viele suchen

journalistische Websites auch nicht mehr eigens auf, wenn

sie über die wichtigsten Themen Bescheid wissen wollen,

sondern informieren sich beiläufig – getreu dem Motto: »If

the news is that important, it will find me.« Das geschieht

etwa dann, wenn beim E-Mail-Abruf auch Kurzmeldun-

gen auf der Seite sichtbar sind oder wenn Nachrichten

aus denMedien in die sozialen Netzwerke einsickern. Knapp

ein Viertel der Befragten begnügt sich bei Google News mit

den dort lesbaren Schlagzeilen und klickt sich nicht mehr

zum gesamten Artikel durch. Und selbst wenn die Nutzer

auf die journalistischen Websites finden, bleibt es oft bei

Kurzbesuchen: Ein wachsender Anteil des Publikums

gelangt über Trefferlisten von Suchmaschinen oder Empfeh-

lungslinks in sozialen Netzwerken auf journalistische Arti-

kel. In welchem Kontext er publiziert wurde, ist dabei zweit-

rangig.

WELCHE SCHLÜSSE ZIEHEN

die Anbieter aus dieser

Situation? Grob lassen sich zwei Strategien unterscheiden:

Bei der ersten Strategie wird versucht, möglichst billig an

Content zu kommen und die Werbeerlöse zu steigern. Beides

schlägt sich tendenziell negativ auf die journalistische Qualität

nieder. Im Fall des sogenannten »Native Advertising« – ein

Euphemismus für Schleichwerbung – sind die Botschaften

ganz ähnlich wie der redaktionelle Inhalt gestaltet. Beispiele

dafür finden sich bei der Huffington Post

(huffingtonpost.de)

und selbst bei der New York Times

(nyt.com

). Auch durch

lange Klickstrecken, etwa Bildergalerien, lässt sich der User-

Kontakt mit Werbung erhöhen. Die redaktionellen Kosten

lassen sich senken, wenn auf Fremdinhalte im Internet ver-

wiesen wird, die lediglich zusammengefasst werden, oder

wenn User den Inhalt beisteuern. Beispiele dafür sind Buzz-

Feed

(buzzfeed.com)

und die Huffington Post.

Qualitätsjournalismus im Internet

Bei der zweiten Strategie setzen die Redaktionen auf Quali-

tät: Hier wird versucht, das Profil zu schärfen und sich durch

Exklusivität abzugrenzen. Dafür sollen die Möglichkeiten

des Internets noch besser ausgeschöpft werden. Neben den

Krautreportern, die auf lange Texte setzen, gibt es weitere Pro-

jekte, in denen jenseits der Tagesaktualität mit demMedium

experimentiert wird. Dazu zählen Reporterteams, die brisante

Themen aufgreifen, investigativ recherchieren und Ergeb-

nisse im Netz präsentieren. Nach dem Vorbild von Pro Pub-

lica

(propublica.org

), einem stiftungsfinanzierten Projekt in

den USA, arbeitet in Deutschland Correctiv

(correctiv.org)

.

Eine andere Spielart des Qualitätsjournalismus ist der

Datenjournalismus, der verfügbare Daten sammelt und auswer-

tet. Ein Beispiel dafür ist der Zugmonitor von

Süddeutsche.de

:

Hier wurden die Verspätungshinweise der Bahn verwen-

det, um die Pünktlichkeit auf den verschiedenen Strecken zu

ermitteln.

Professor Dr. Christoph Neuberger

hat seit 2011 einen

Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwer-

punkt »Medienwandel« an der Ludwig-Maximilians-Univer-

sität München. Zuvor lehrte er an den Universitäten Münster

und Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte sind der

Journalismus, der Wandel der Öffentlichkeit im Internet und

die Qualität der Medien.

Quellen:

Newman, Nic/Levy, David A. (2014): Reuters Institute Digital

News Report 2014. Tracking the Future of News. Oxford:

Reuters Institute for the Study of Journalism, University of

Oxford.

https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/

default/files/Reuters%20Institute%20Digital%20News%20

Report%202014.pdf

Neuberger, Christoph (2012): Journalismus im Internet aus

Nutzersicht. Ergebnisse einer Onlinebefragung. In: Media

Perspektiven. H. 1, S. 40-55.

http://www.media-

perspektiven.

de/uploads/tx_mppublications/01-2012_Neuberger.pdf

Neuberger, Christoph/Langenohl, Susanne/Nuernbergk,

Christian (2014): Social Media und Journalismus. Düsseldorf:

LfM (= LfM-Dokumentation, Band 50). http://lfmpublikationen.

lfm-nrw.de/index.php?view=product_detail&product_id=360

NOCH WEITGEHEND OFFEN

ist dagegen die Frage, wie

die Qualität der Diskussionen im Internet verbessert werden

kann. Hier liegt gegenwärtig vielleicht das größte Defizit des

Internetjournalismus: Der oft geäußerten Unzufriedenheit

mit dem Niveau der Leserdebatten begegnen die Redaktio-

nen mit Richtlinien für das Kommentieren, dem Ausschluss

von Nutzern, die gegen Regeln verstoßen haben, und einer

Registrierungspflicht. Nur eine Minderheit der Redaktionen

moderiert dagegen die Diskussionen – oft bleiben die Leser

also sich selbst überlassen. Die kaum bewältigbare Menge an

zu prüfenden Kommentaren und der Zeitmangel haben dazu

geführt, dass einige Redaktionen die Kommentarfunktion nur

noch bei ausgewählten Themen freischalten wie jene von Süd-

deutsche.de,

um zumindest dort die Qualität sicherzustellen.

Vielkanaligkeit als Herausforderung

Und noch einer weiteren Herausforderung muss sich der

Journalismus im Internet stellen: Er muss lernen, über eine

Vielzahl von Kanälen parallel zu kommunizieren. Fast alle

Internetredaktionen in Deutschland nutzen Twitter und

Facebook, rund drei Viertel setzen YouTube und Blogs ein.

In den sozialen Medien erreichen sie die junge Zielgruppe,

allerdings gelten dort auch besondere Umgangsregeln und

Beschränkungen. So sind auf Twitter Geschwindigkeit und

Kürze gefragt, während in Blogs die Texte länger sind und

Debatten eher in die Tiefe gehen. Die Redaktionen müssen

herausfinden, wo die Stärken und Schwächen der verschie-

denen sozialen Medien liegen, um sie sinnvoll für das Publi-

zieren, Recherchieren und den Publikumskontakt einzuset-

zen. Beim Umgang mit dieser Vielkanaligkeit, so ergab eine

Befragung von Redaktionsleitern im Jahr 2014 (Neuberger/

Langenohl/Nuernbergk 2014), haben viele Journalisten noch

Defizite. Nur 10 Prozent der Redaktionsleiter sehen keinen

Verbesserungsbedarf bei der Kompetenz ihrer Mitarbeiter,

dagegen hielten sie 28 Prozent für stark verbesserungswürdig.

Der Journalismus ist ein Beruf, der sich grundlegend wan-

delt – und wandeln muss, um die Qualität der öffentlichen

Kommunikation auch im Internet sicherzustellen.