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aviso 2 | 2016

FREMDE, IN DER FREMDE

COLLOQUIUM

»Flüchten Sie bitte weiter. Hier gibt es nichts zu

wohnen«, war Ende Januar zynisch auf Schildern

am Ortseingang von Sondershausen im Norden Thü­

ringens zu lesen. Der Elan der deutschenWillkommens­

kultureuphorie ist verpufft. Hassreden im Internet und bei

öffentlichen Veranstaltungen heizen die geladene Stimmung

weiter auf. Morddrohungen per Postkarte trieben den Zorne­

dinger Pfarrer Olivier Ndjimbi-Tshiende, einen gebürtigen

Kongolesen, zum Rücktritt. Der Wortlaut: »Ab mit dir nach

Auschwitz« und »Nach der Vorabendmesse bist du fällig«.

Brandreden.

Hate Speech.

Allein in den ersten sechs Wochen des jungen Jahres 2016 wur­

den laut Angaben des Bundesinnenministeriums 118 Über­

griffe gegen Asylunterkünfte, darunter 17 Brandstiftungen

und 27 Gewaltdelikte, verübt. 2015 waren es bereits 1029

Straftaten. Seit 1989/90 zählte die Amadeu-Antonio-Stiftung

187 Morde aus rassistischen oder rechtsextremistischenMoti­

ven. Jüngste Umfragen haben gezeigt, dass ein Viertel der

Deutschen ›fremdenfeindlichen‹ Aussagen zustimmt und dass

16% finden, dass »weiße Menschen die Welt regieren sollten«.

Den Soundtrack liefert hasserfüllte Sprache, sog.

Hate Speech

,

besonders im Internet – in den Kommentarfunktionen der

Zeitungen, in Auseinandersetzungen in den Social Media

und auf öffentlichen Veranstaltungen. Diese von Drohungen,

Beleidigungen, Häme und Hetze geprägte Sprache erfüllt teil­

weise den Tatbestand der Volksverhetzung, kommt oftmals

aber auch subtiler daher.

Etikettenschwindel.

Schönreden.

Der Begriff »Fremdenfeindlichkeit« oder auch »Xenophobie«,

vormals auch »Ausländerfeindlichkeit«, findet noch immer

in der Kriminalberichterstattung, in Teilen der Sozialwissen­

schaften und der politischen Debatte Verwendung. Von der

Kritischen Rassismusforschung wird er aber mit Vorbehalt

betrachtet: Es sind meist eben keine ›Fremden‹, die Opfer von

rassistischer Gewalt und Diskriminierung werden. Die Op­

fer der NSU-Morde waren ja keine Fremden, sondern lebten

langjährig in deutschen Städten, darunter auch München und

Nürnberg, als ansässige Geschäftsleute, Nachbarn, Steuer­

zahler. Der in diesem Zusammenhang entstandene Euphe­

mismus »Döner-Morde« machte eine recht steile und breite

mediale Karriere im deutschsprachigen Raum, ehe er dann

zum Unwort des Jahres 2012 gekürt wurde und endlich ver­

schwand. In der Jurybegründung des Negativpreises heißt es:

»Mit der sachlich unangemessenen, folkloristisch-stereotypen

Etikettierung einer rechtsterroristischen Mordserie werden

ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer selbst

in höchstem Maße diskriminiert, indem sie aufgrund ihrer

Herkunft auf ein Imbissgericht reduziert werden.« Auch

Afrodeutsche wie auch andere deutsche PoC (Persons of Co­

lor) sind keine Fremden, werden aber allzu oft so markiert:

Das beginnt im Alltag mit scheinbar harmlosen Erkundi­

gungen wie »Wo kommen Sie denn URSPRÜNGLICH her?«

oder Bewertungen: »Sie sprechen aber gut Deutsch«. Sie

werden im Racial Profiling diskriminiert. Wenn sie sich in

für nicht-weiße Menschen gefährliche Stadtviertel oder

Regionen trauen oder eben dort leben, nützt es ihnen na­

türlich nichts, wenn sie im Falle eines Angriffs noch schnell

ihren deutschen Pass zücken oder die Nationalhymne an­

stimmen.

An den willkürlichen Konstruktionsprozessen von vermeint­

lich ›Fremden‹ oder ›Anderen‹, dem »Othering«, sind wis­

senschaftliche, mediale, politische und andere Akteure der

Gesellschaft mittels Sprache, gepaart mit Macht, beteiligt.

Fremde gehören ja per Definition nicht zur eigenen Gesell­

schaft, haben von daher kein wirkliches Anrecht auf kulturelle

oder materielle Ressourcen – da kommt dann natürlich und

selbstverständlich Fremdenfeindlichkeit auf, flüstert die krude

Logik des Begriffs. Der synonyme Begriff der Xenophobie lie­

fert eine quasi kausale naturgegebene Erklärung für Gewalt

und Ausgrenzung. Eine Phobie ist eine spontane, unkontrol­

lierbare Angststörung, sie lässt sich nicht wegdiskutieren, der/

die Phobiker*in steht quasi nicht in der Verantwortung. Mit

beiden Begriffen – »Fremdenfeindlichkeit« wie auch »Xeno­

phobie« – wird so eine Art Steilvorlage geliefert, die noch dazu

die Täterperspektive einnimmt.

Die vermeintlich ›fremdenfeindliche‹ Tat wird aber nicht ver­

übt, weil das Opfer eine bestimmte Eigenschaft oder Herkunft

hat, sondern weil der Täter oder die Täterin eine bestimmte

Einstellung hat. In der öffentlichen Kommunikation, insbe­

sondere den Medien, wird der Begriff fast immer dann ver­

wendet, wenn es eigentlich um rassistisch motivierte Straftaten

geht. Wenn also ein Mensch oder eine Menschengruppe als

biologisch, religiös, kulturell oder sozial »anders« und »gleich­

zeitig minderwertig« konstruiert wird, während Weißsein

und Christentum als meist unausgesprochene Markierer der

Norm fungieren. So wird schön(er) geredet, was nicht schön

zu reden ist. Auch wenn Menschen in Deutschland aus der

weißen Mehrheitsgesellschaft heraus mit dem ›Migrations­

hintergrund‹ versehen werden, ist damit selten ihre Staats­

bürgerschaft oder die Herkunft ihrer Eltern gemeint. Denn

die Kinder weißer Schweizer*innen, Norweger*innen oder

Amerikaner*innen werden im landläufigen Sprachgebrauch

nicht derart bezeichnet. Gemeint sind damit gewöhnlich vom

Weißsein abweichender Phänotypen und/oder vom Christen­

tum divergierende Religionen, derzeit insbesondere der Islam.

Machtworte.

Wortmacht.

Worte schaffen Zustände. Sprache als menschengemachter

Schauplatz von Artikulation beeinflusst Weltwahrnehmung

und Verhalten und strukturiert die Handlungsweisen von

Individuen, Gruppen oder Institutionen. Machtausübung

ist bedingt durch Sprache und Sprache konstituiert Macht.