tion leichtfüßige Freizeitbeschäftigungen sind, um sich unver
dient deutsche Ressourcen anzueignen. EinWirtschaftsflücht
ling ist also kein »echter Flüchtling«… und überhaupt: In der
deutschen Sprache gibt es kaum positiv konnotierte Worte, die
auf »–ling« enden. Na gut, immerhin: Frühling, Schmetter
ling. Ansonsten signalisiert das –ling meist: Passivität, man
gelnde Authentizität, hierarchische Unterlegenheit und wird
meist ironisch, diminutiv oder abwertend benutzt: Schönling,
Günstling, Fremdling, Neuling, Zögling, Winzling, Wüstling ...
Flüchtling. »Geflüchteter Mensch« klingt da ganz anders.
Wortwechsel.
Sprachwandel.
Wie wichtig Sprache bei der Weltwahrnehmung ist und wie
sehr Spracharbeiter*innen in der öffentlichen Kommunika
tion selbst auch in bestehende Machtungleichgewichte und
die Produktion von Unterschieden verstrickt sind, sollte hier
angerissen werden. In Deutschland hat heute jede*r fünfte
Bewohner*in eine rezente Migrationsgeschichte, aber in den
deutschen Redaktionen gibt es nur 1% Journalist*innen mit
einer derartigen (Familien)Biographie.
Die »Neuen deutschenMedienmacher« (NDM) wurden 2008
als Verein von und für Journalist*innen mit Migrationsge
schichte als professionelles Netzwerk gegründet. Zum einen
fehlen dem NDM in den Redaktionen der Republik oftmals
migrantische Perspektiven und eine hinreichende Kompetenz
und Sensibilität bei der Darstellung gesellschaftlicher Viel
falt. Ihre Zielsetzung ist es, quantitativ und qualitativ mehr
Diversität auf allen Ebenen der deutschen Medienbetriebe
zu schaffen und eine dahingehende Qualitätssteigerung und
Mehrdimensionalität in der Berichterstattung wie auch der
journalistischen Aus- und Fortbildung, die Medien wie auch
Rezipient*innen zugutekommt. Ein weiteres Aktionsfeld ist die
Nachwuchsförderung durchMentor*innenprogramme. Gesell
schaftlicher Wandel sollte sich auch in Sprache widerspiegeln,
befanden die Netzwerkmitglieder. 2011 veröffentlichten die
NdMdie ersten Formulierungshilfen für die Berichterstattung
über die Neonazi-Mordserie des NSU. 2013 begann der NDM
dann unter der Schirmherrschaft des Bundesamts für Mig
ration und Flüchtlinge das Glossar »Formulierungshilfen für
die Berichterstattung imEinwanderungsland« zu entwickeln.
Diese Formulierungstipps für Redaktionen und andere Ak
teure der öffentlichen Kommunikation wurden in intensiven
Diskussion mithilfe zahlreicher Wissenschaftler*innen und
Praktiker-*innen zu zentralen Themen der Einwanderungs
gesellschaft erstellt und werden laufend weiterentwickelt.
Die Begriffserläuterungen und Alternativen sollen der Präzi
sierung von Begriffen dienen und bieten praktische Vorschläge
für die differenzierte und nicht-diskriminierende Bezeichnung
von minorisierten Gruppen wie auch Mehrheitsangehörigen
und ihren wechselseitigen Verschränkungen. Das Glossar hat
derzeit knapp 200 Einträge, die in die Rubriken »Migration«,
»Asyl«, »Islam«, »Kriminalitätsberichterstattung« sowie »Wer
sind ›wir‹, wer sind ›die Anderen‹?« aufgeteilt sind. Orientie
rungsbedarf und Nachfrage sind zur Freude der Initiator*innen
groß. Natürlich gibt es auch Kritik. Die Süddeutsche Zeitung
bezeichnete die NdM-Glossar Autor*innen jüngst als »Tür
steher der Sprache«,... die »denWörtern wieder Fesseln anle
gen« möchten ... und mit demGlossar »eine Art Vademecum
für den richtigen Umgang mit Wörtern zumThemenkomplex
Einwanderung« herausgegeben hätten.
Der Reflex, sich derart vehement gegen Formulierungstipps
zu sträuben, ist im Kern wohl der Irritation geschuldet, die
dann entsteht, wenn ein privilegierter Mensch aufgefordert
wird, die eigene Positioniertheit zu benennen wie auch die
eigenen Privilegien kritisch zu reflektieren. Hier also geht es
um das Privileg, andere Menschen so zu benennen, wie ›es‹
schon immer getan wurde – egal, wie diese Bezeichnungen
zustande kamen und wie derart bezeichnete Menschen sich
selbst nennen oder wie sie eben benannt werden wollen. Zum
anderen geht es um das Sonderrecht, selbst nicht im Sinne
der eigenen ›ethnischen‹ Zugehörigkeit und entsprechenden
Prägung benannt werden zu wollen. Eine kritische Selbst
reflexion über die eigene Befangenheit, Privilegiertheit und
resultierender Betriebsblindheit könnte ja den Wandel im
Denken, Sprechen und Handeln befördern. Für so manche*n
eine bedrohliche Vorstellung ... man könnte sich ja sich selbst
entfremden...
Nadja Ofuatey-Alazard
,
im Schwarzwald geboren, ist Diplom-
journalistin und lebt in München. Sie war mehrere Jahre in der
US-amerikanischen Filmproduktion tätig und arbeitete danach
in Deutschland als Filmemacherin, Produktionsleiterin, Autorin,
Herausgeberin, Moderatorin und Pressereferentin. Außerdem
ist sie Co-Leiterin des BIGSAS-Literaturfestivals der Univer-
sität Bayreuth.
Zum Weiterlesen
n
Susan Arndt, Nadja Ofuatey-Alazard (Hg): »Wie Rassismus
aus Wörtern spricht, (K)Erben des Kolonialismus im Wissensar-
chiv deutsche Sprache«. Ein kritisches Nachschlagewerk.
Münster, Unrast 2011
n
»>Geh sterben!< – Umgang mit Hate Speech und Debattenkultur
im Internet«, Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung
amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/hatespeech.pdfn
Länderbericht Deutschland 2014 der Europäischen Kom-
mission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI):
coe.int/t/dghl/monitoring/ecri/Country-by-country/
Germany/DEU-CbC-V-2014-002-DEU.pdf
n
Die Europarat-Kampagne »No Hate Speech« will
Hassreden im Netz bekämpfen, Internet-affine jun-
ge Menschen zum Engagement gegen Hate Speech
ermächtigen, Betroffenen Ansprache, Rat und
Schutz bieten:
nohatespeechmovement.orgn
Die Neuen deutschen Medienmacher e.V.
(NdM), ein Netzwerk von Journalist*innen mit
Migrationsgeschichte, setzen diese Kampag-
ne in Deutschland um, betraut vom Bundes-
ministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend:
neuemedienmacher.den
hier auch das Glossar »Formulie-
rungshilfen für die Berichterstattung
im Einwanderungsland«
neuemedienmacher.de/wissen/wording-glossar/
n
lokale Netzwerke des NdM in
Bayerischen Städten
n e u e me d i e n -ma c h e r. d e /
lokale-ne t zwerke/muen-
chen/ und neuemedienma-
cher.de/lokale-netzwer-ke/nuernberg/