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aviso 2 | 2016

FREMDE, IN DER FREMDE

COLLOQUIUM

Fremdheit ist ein soziales Konstrukt durch die Mehrheit. Bei

Inklusion wie Exklusion von Menschen spielt Sprache eine

aktive und tragende Rolle.

Dass es innerhalb einer Sprachgemeinschaft also unterschied­

liche Meinungen darüber gibt, ob ein bestimmter Ausdruck als

diffamierend, rassistisch oder als Hassrede gelten sollte oder

nicht, ist nicht weiter verwunderlich. Mitglieder einer privile­

gierten Gruppe empfinden einen sprachlichen Ausdruck häufig

deshalb nicht als herabwürdigend oder verunglimpfend, weil

er sich nicht gegen sie, sondern eben gegen eine – von ihrer

postulierten Normwarte aus gesehen – abweichende Gruppe

richtet. Die eigene Prägung wird nicht als solche und somit

subjektiv benannt, sondern als objektiv verklärt und führt

gepaart mit demmangelnden Bewusstsein der eigenen Privile­

giertheit zum blinden Fleck hinsichtlich anderer Lebens- und

Erfahrungswelten und damit zur Empathielosigkeit.

Die Begriffe, Metaphern und Konzepte, mit denen wir selbst­

verständlich hantieren, prägen unser Bild von der politisch-so­

zialenWirklichkeit. Wenn die schwarze Kulturwissenschaftle­

rin bell hooks von »Sprache als umkämpftemTerrain« spricht,

fragt sie damit auch: Wer hat »das Sagen« und wer findet

»kein Gehör«? Wer hat die Deutungsmacht über Sprache und

wer wird bei Protest meist belächelt oder ignoriert? Wessen

Sprache findet in welchen Foren, Medien, Kanälen Gehör?

Wer wird wie von wem benannt? Und wer wird sprachlich

ausgeschlossen? Wessen und welche Sprache schafft es in

die Wörterbücher, Kinderbücher, Schulbücher, Leitmedien?

Gerade Medien spielen bei der Konstruktion des ›Anderen‹

oder des ›Fremden‹ eine bewusstseinsbildende Schlüsselrolle.

Was durch diesen Filter passiert, verrät also nicht nur vieles

über den in die Welt gerichteten Blick, sondern insbesondere

Aussagekräftiges über das Selbstbild, denn letzteres wird, wie

vom britischen Kulturwissenschaftler Stuart Hall theoretisiert,

meist via direkten Umweg über das Fremdbild erstellt: »Die

Engländer sind nicht deshalb rassistisch, weil sie die Schwar­

zen hassen, sondern weil sie ohne die Schwarzen nicht wis­

sen, wer sie sind.«

Hierbei ist noch eine weitere Dimension von Sprache relevant:

Sprache fungiert als historisches Archiv. Sie tradiert gewisse

kulturgeschichtliche Konzepte und Vorstellungen, die imWer­

degang der jeweiligen Wortschöpfung machtvoll waren. Der

Mainzer Germanist Rainer Kohlmayer dazu: »In der deutschen

Sprache gibt es wie in jeder anderen zahlreiche Spuren ural­

ter Gewaltverhältnisse. Zum Beispiel der Knechtungszusam­

menhang von ›hören‹, ›horchen‹, ›gehören‹, ›gehorchen‹. Man

muss sich gegen das raffinierte Geraune der Vatersprache zur

Wehr setzen.« Das sollte uns natürlich nicht vom (empathi­

schen) Zuhören abhalten, aber eben vom (blinden) Gehorsam.

Gleichzeitig ist dieses Spracharchiv aber auch lebendig und

dynamisch wandelbar. Und somit umkämpft: Sprache ist vie­

len Menschen eine Heimat. Sie sollte schon deshalb so inklu­

siv wie möglich sein.

Tödliche

Metaphern.

Der US-amerikanische Linguist George Lakoff analysiert

die Metaphern, die Politiker*innen in öffentlichen Debatten

benutzen, um die öffentliche Sicht auf politische Verhältnisse

zu steuern. Wortschöpfungen wie die »Achse des Bösen« oder

der »Krieg gegen den Terror« strukturieren laut Lakoff tiefgrei­

fend unser Denken und Handeln. Metaphern könnten töten,

behauptete er deshalb 1990 in seinem Text »Metapher und

Krieg«, dessen Kernidee er dann jeweils im 10-Jahres-Intervall

auf ’s Neue anhand der jeweils aktuellen amerikanischen Geo­

politik überprüfte. Rezipient*innen nähmen Politiker-Meta­

phern-Assemblagen derart ernst, und eben wortwörtlich, dass

es allein aufgrund metaphorischer Wortschöpfungen möglich

sei, die Bevölkerung beispielsweise von der Notwendigkeit zu

überzeugen, Kriege anzuzetteln und dabei Zehntausende von

zivilen Opfern in Kauf zu nehmen. Die zentrale metaphori­

sche Aussage des Zweiten Golfkriegs »Saddam ist ein Ty­

rann. Er muss gestoppt werden!« etwa verschleierte, dass die

3000 Bomben, die allein in den ersten beiden Kriegstagen den

Irak trafen, nicht nur auf diese eine Person zielten, sondern

viele Tausende töteten und verletzten. Mittels der Metapher

waren sie unsichtbar gemacht worden. Die Metapher sug­

gerierte, dass der Krieg nur gegen Saddam Hussein geführt

wurde, nicht gegen das irakische Volk.

Ein Experiment an der Universität Stanford aus dem Jahr

2012 belegt die Lakoff ’schen Thesen eindrucksvoll. Die

Psycholog*innen Paul Thibodeau und Lera Boroditsky lie­

ßen knapp 500 Proband*innen in mehreren Experimenten

einige Textstellen über die steigenden Kriminalitätsraten

in der fiktiven Stadt Addison lesen und wurden dann dazu

befragt. Der einzige Unterschied: In manchen Texten wurde

die dramatisch zunehmende Kriminalität mit einem verhee­

renden Virus verglichen, in den anderen mit einer wütenden

Bestie. Die Zahlen und Kriminalstatistiken waren jeweils

identisch. Diejenigen Proband*innen, die es in ihren Texten

mit einemUntier zu tun gehabt hatten, rieten mehrheitlich zu

unnachgiebiger Verfolgung, Inhaftierung und harten Sanktio­

nen, während die Virus-Metapher die Probanden mehrheit­

lich in Richtung Ursachenerkundung, Armutsbekämpfung

und besserer Bildungschancen tendieren ließ.

Abschließend sollten die Teilnehmer*innen noch darüber Aus­

kunft geben, welcher Teil der Berichte ihrer Meinung nach

für sie am stärksten meinungsbildend war. Lediglich 15 Per­

sonen nannten die sprachliche Metapher als Grund, während

die überragende Mehrheit überzeugt war, dass es vor allem

die Zahlen und Fakten gewesen seien, die für ihre Wahl der

Maßnahmen ausschlaggebend waren. Sprachbilder wirken

also stark unbewusst.

Wenn also bei uns hier und heute allenthalben von »Flücht­

lingskrise«, »Flüchtlingswelle«, »Flüchtlingsflut« die Rede ist –

was liegt näher, als Dämme zu bauen, wenn doch ein Tsuna­

mi das Land bedroht? Die Begriffe »Sozialtourismus« oder

»Wirtschaftsflüchtling« suggerieren, dass Flucht und Migra