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aviso 3 | 2016

ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN

COLLOQUIUM

»Ein Bakterium«, »eine neue Antriebskraft oder was mit

Öl«, »ein Medikament gegen Zahnstein« – das sind nur

einige Antworten, die wir imAugust 2012 von unseren Besu-

cherinnen erhielten, als wir sie fragten, ob ihnen der Begriff

»Anthropozän« etwas sage. Nicht gerade ermutigend, wenn

man sich entschlossen hat, die weltweit erste große Ausstel-

lung zu diesem Thema zu machen. Ist das Anthropozän zu

komplex und zu aktuell, um ausgestellt zu werden? Lohnt

sich der finanzielle und konzeptionelle Aufwand, wenn die

Menschen schon den Titel nicht verstehen? Möchten unsere

Besucher nicht eher »leichte Kost«, wenn sie in ihrer Freizeit

mit Kind und Kegel ins Deutsche Museum kommen? Kann

sich eine Ausstellung der schwerwiegenden Frage annehmen,

ob die Menschen ein neues Erdzeitalter prägen und trotzdem

die Idee des Gründungsvaters Oskar von Miller einhalten,

eine Mischung aus Bildungsstätte und Oktoberfest zu sein?

Anderthalb Jahre nach der Eröffnung der Sonderausstel-

lung »Willkommen imAnthropozän. Unsere Verantwortung

für die Zukunft der Erde« können wir sagen: Ja, man kann.

Warum aber kommt ein Technikmuseum auf die Idee, eine

Ausstellung zu einem in der breiten Öffentlichkeit noch kaum

bekannten Thema zu machen, das man wohl eher in einem

Naturkundemuseum vermuten würde? Impulsgeber gab es

viele, vor allem aus den Reihen des Rachel Carson Center for

Environment and Society, mit dem das Deutsche Museum

die Ausstellung gemeinsam realisierte. Die eigentliche Ant-

wort ist aber denkbar einfach: Zum einen sind die Themen

hinter dem sperrigen Begriff Anthropozän keineswegs total

neu und zum anderen berühren sie unser menschliches Tun

in seiner technischen, naturwissenschaftlichen, kulturellen

und sozialen Gesamtheit. Zwar kannten die meisten Teil-

nehmer und Teilnehmerinnen unserer Besucherstudie noch

nicht den Fachterminus, die Frage, ob sich das Verhältnis von

Mensch und Natur in den letzten Jahrhunderten und Jahr-

zehnten verändert hätte, bejahten sie jedoch mit überwäl-

tigender Mehrheit (93 Prozent). Einerseits erkannten viele

ein zunehmendes Umweltbewusstsein, andererseits aber

auch die wachsenden menschlichen Eingriffe in natürliche

Kreisläufe. Viele sahen das Verhältnis zur Natur skeptisch

und betonten die egoistische Ader der Menschheit, die Na-

tur allein zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Der Mensch als Teil der Natur, als ihr Veränderer, vielleicht

sogar ihr Zerstörer? Keine wirklich neue Idee, mag man

denken. Und doch ist das Anthropozän als Konzept, Per-

spektive und geologischer Begriff etwas Neues, ja in man-

cherlei Hinsicht gar etwas Revolutionäres, denn es begreift

den Menschen als einen bio- und geologischen Akteur, der

imstande ist, die Erdgeschichte zu verändern. Damit steigt

der Mensch auf in die Riege anderer geologischer Kräfte wie

der Vulkanismus oder die Plattentektonik. Dass wir unsere

Umwelt arg strapazieren und Strategien der Nachhaltigkeit

wichtiger denn je sind, ist nicht neu. Doch das Konzept des

Anthropozäns vermag es, bislang isoliert oder parallel zuein­

ander betrachtete Phänomene und Probleme zu bündeln

und miteinander in Beziehung zu setzen. Und es trägt der

nicht unwesentlichen Tatsache Rechnung, dass wir zwar in

einer Reihe mit anderen erdsystemischen Akteuren wie den

Cyanobakterien stehen, anders als diese jedoch Bewusst-

sein über unser Handeln besitzen. Gewollt oder ungewollt,

der Mensch ist nun am Steuer – im »driver’s seat« wie es im

Englischen heißt. Doch wohin geht die Reise?

Das Deutsche Museum mit seinen Sammlungen aus histo-

rischen, aber auch gegenwärtigen Objekten verschiedenster

naturwissenschaftlicher und technischer Fachgebiete kann

auf ganz besondere Weise erklären, wie, wann, wo und

warum wir Menschen unsere Umwelt kontinuierlich verän-

dern. Schließlich waren es die Prozesse der Industrialisierung

und Globalisierung, die die Phänomene des Anthropozäns

hervorgebracht und beschleunigt haben. Technik als Verur-

sacher oder Verstärker anthropogener Umwelteinflüsse und

zugleich Teil möglicher Lösungen nimmt eine wichtige Rolle

ein. Als menschengemachte Ausprägung unseres kreativen

Potenzials erfordert sie eine gesellschaftliche Diskussion

über ihre Entwicklung, Anwendung und Nutzen in unserer

gegenwärtigen und zukünftigen Welt, insbesondere wenn

sie wie zum Beispiel beim Geo-Engineering globale Aus-

wirkungen hat.

Konzept der offenen Fragen

Das Anthropozän steht für einen möglichen neuen Abschnitt

der Erdgeschichte. Es ist aber auch eine Zäsur für das Muse­

um als Sammlung, Ausstellungsort und Wissensinstitution.

Als Prozess und Ergebnis menschengemachter, oft beschleu-

nigter Veränderungen scheint das Anthropozän demGedan-

ken des Museums – der Konservierung und Kategorisierung –

diametral entgegenzustehen. Doch heutige Museen sind nicht

mehr nur Archive, sondern vielmehr Akteure des Anthro-

pozäns: Sie lagern und konservieren Gegenstände, die als

Bausteine seiner Entstehungsgeschichte betrachtet werden

können, und setzen es mittels unterschiedlicher Anordnung

dieser Bausteine zugleich auf immer wieder neue Art und

Weise zusammen. In der Theorie des Museums verspricht

das Anthropozän deshalb spannende Perspektiven, neue

Kooperationsmöglichkeiten und eine Aktualität und Rele-

Eine Bilanz der Ausstellung im Deutschen Museum

Text:

Nina Möllers

museumsreif?