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Dr. Nina Möllers

arbeitet am Deutschen Museum und am

Rachel Carson Center for Environment and Society. Sie ist

Projektleiterin und Kuratorin der Sonderausstellung

»Willkommen im Anthropozän. Unsere Verantwortung für die

Zukunft der Erde«.

gramme zur Ausstellung zeigen, sind ohnehin der schönste

Lohn für unsere Arbeit. Wenn sich Schüler und Schülerinnen

einer 6. Klasse freiwillig ans Gedichtschreiben zum Anthro-

pozänmachen, sich gegenseitig in Führungen die Ausstellung

erklären oder in Modellbauwerkstätten über das Leben und

Wohnen in der Zukunft nachdenken und dies ganz handfest

umsetzen, dann hat das etwas sehr Inspirierendes. Und es

zeigt eben auch, dass Kinder und Jugendliche die mutigeren

Ausstellungsbesucher sind. Sie lassen sich von der Komplexi-

tät nicht schrecken. Für uns Museumsfachleute lässt das die

Frage aufkommen, welchen Sinn eigentlich auf Kinder zuge-

schnittene Inhalte in Ausstellungen machen. Eine altersge-

rechte Vermittlung ist wichtig, aber die kann häufig besser

über spezifische Zusatzprogramme erreicht werden. Warum

eine »Kinderspur«, wenn doch das Leben und die Welt da

draußen auch keine bereithält?

Nervöse Unbestimmtheit

Das Anthropozän stellt uns alle als Akteure in den Mittel-

punkt, doch wie nie zuvor sind wir eingebettet in die unter-

schiedlichen natürlichen Abläufe und Kreisläufe, die wir nur

zumTeil verstehen. Noch wissen wir nicht, ob es das Anthro-

pozän als geologischen Zeitabschnitt überhaupt geben wird

und noch weniger wissen wir, was genau es ist und sein wird.

Doch gerade diese Offenheit, diese leicht nervöse Unbestimmt-

heit ist es, die das Anthropozän für Ausstellungen zu einem

lohnenswerten Sujet macht. In kaum einem anderenMedium

ist es möglich, den Gehalt, die Bedeutung und die Grenzen

menschlichen Tuns so auszuloten wie im dreidimensionalen

Ausstellungsraum. Nicht ohne Grund beschäftigen sich seit

der Eröffnung unserer Ausstellung immer mehr Museen und

Kulturinstitutionen mit demAnthropozän. Weltweit sind in

den letzten zwei Jahren über die ganze Bandbreite aller Muse­

umssparten Ausstellungen eröffnet worden oder befinden

sich derzeit in Planung – so zumBeispiel imNatural History

Museum in New York, der Smithsonian Institution inWashing-

ton, DC, demMoesgaard Museum für Archäologie und Eth-

nologie in Dänemark oder demNational Museum of Australia

in Canberra sowie vielen großen und kleinen Kunstmuseen

weltweit, darunter auch Häuser in Asien und Südamerika.

Museen neu denken

Diese globale Ausweitung der musealen Beschäftigung mit

dem Anthropozän ist sehr begrüßenswert, eröffnet sie doch

die Möglichkeit, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven

und Kontexten heraus auf das Anthropozän zu blicken. Jede

museale Annäherung an ein Thema, insbesondere an ein glo-

bales Konzept wie das Anthropozän, bedeutet Zentralisierung,

Zusammenschau, Aus- und Weglassen. So auch unsere Aus-

stellung. Die gesamte Erde passt schlicht in kein Museum

und in keine Ausstellung. Doch gerade darin liegt das große

Potenzial von Museen und Ausstellungen, denn innerhalb

dieser Breite und Vernetztheit bietet die museale Ausstel-

lung einen räumlichen und zeitlichen Ankerpunkt, von dem

aus das Anthropozän in seiner Unüberschaubarkeit erforscht,

interpretiert, kritisiert und diskutiert werden kann. Umher-

wandern, Umleitungen und Kehrtwenden werden möglich,

ohne sogleich in einer gedanklichen und faktischen Sackgasse

zu landen. Die museale Sicht auf das Anthropozän wirft neue

Blicke auf festgefahrene und verbrauchte Nachhaltigkeits­

debatten und eröffnet Optionen jenseits etablierter Postulate,

an deren extremen Enden oft gleichermaßen unrealistische

Szenarien des Verzichts, der totalen Technisierung oder der

Apokalypse stehen. Analog zur Moderne, die im Museum

nicht nur erzählt, sondern entstanden ist, ist das Museum

nicht allein Abbild des Anthropozäns, sondern erschafft es

erst. Hierin liegt sein größter Nutzen für Museen: In all sei-

ner Komplexität bestärkt das Anthropozän das Museumund

die Ausstellung als Orte der Aktivität und des Handelns. Der

multimediale Raum ermöglicht Kontaktzonen und arbeitet

gegen die Statik und einengende Linearität – und fordert

sowohl der Besucherschaft als auch den Museumsfachleu-

ten einiges ab. Museen sind nicht mehr – und waren es auch

eigentlich nie – Institutionen gesicherten Wissens und der

Selbstvergewisserung, in denen die Welt und seine Phäno-

mene abschließend erklärt werden und die den Besuchern

Lösungen auf dem Silbertablett servieren. Sie sind ein be-

weglicher Raum für freies Denken, Diskutieren und Visionie-

ren – nicht zuletzt auch für das forschende Erschließen neuen

Wissens und das Experimentieren mit innovativen Formen

und Formaten der Wissensvermittlung. Sie sollten Orte sein,

wo die Diskussion geschieht, nicht wohin sie wandert, wenn

die Themen scheinbar ‚ausdiskutiert‘ sind. Die Sonderaus-

stellung amDeutschenMuseum hat hoffentlich einen ersten

Schritt in diese Richtung gemacht, damit Museen und Aus-

stellungen nicht nur Abbild einer Diskussion sind, sondern

zu ihremMotor werden.

WILLKOMMEN IM ANTHROPOZÄN

Unsere Verantwortung für die Zukunft der Erde

Die Ausstellung, eine Kooperation des Deutschen Museums und des

Rachel Carson Center, erklärt auf 1400 m² den Begriff und das Kon­

zept des Anthropozäns anhand ausgewählter Themen wie Urbanität,

Mobilität, Natur, Evolution, Ernährung und Mensch-Maschine-Interak­

tion. Sie visualisiert Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Men­

schenzeitalters und vereint Technik, Naturwissenschaft und Naturkunde

mit Kunst und Medien. Historische Exponate vermitteln unseren Weg

ins Anthropozän, aktuelle Forschungsergebnisse und Projekte stel­

len die Herausforderungen und mögliche Lösungen vor und künstle­

rische Übersetzungen regen zum Nachdenken an.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 30.09.2016. Begleitend sind

ein Ausstellungskatalog (erhältlich in Deutsch und Englisch), eine

Comic-Anthologie sowie ein Bildungsheft für Schulen erschienen. deut­

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