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aviso 3 | 2016
ANTHROPOZÄN - DAS ZEITALTER DER MENSCHEN
COLLOQUIUM
Mara-Daria Cojocaru
, *1980 in Hamburg, lebt in
München. Dozentin an der Hochschule für Philosophie
München. Das abgedruckte Gedicht stammt aus
ihrem zweiten Lyrikband »Anstelle einer Unterwerfung«
(© Schöffling & Co., Frankfurt a.M. 2016).
Nach dem Transportflug
Enthusiasmierte Rede des geklonten Muttertiers
Ich werde
Die Kreatur, die 10.000 Fuß
Hoch, über dem bekrochenen Boden
Dort, wo Luftdruck und Temperatur
Euch zum Reisen zwingen
Im Eis verweilt und
Singen. Ich werde Kreatur, Filigran
Gespann aus Adern und Venen, zaghaft
Der Herzschlag
Sichtbarer Blutlauf, Puls in einer
Spannweite von Gegenwart bis
Unendlichkeit
Wird eure neue Tageszeit
Werde die Kreatur, die sich in dünner
Luft dehnt und findet
Sauerstoff, Zelt, alles
Überspannt
Stickt Wahn und Mahnung
Der vergangenen Tage in
Die Innenseite ihrer Flügel
Denn ich werde
Die Erde
Bergen, Neobiota lecken
Wasser ansetzen. Diese Atmosphäre
Nach der Neugeburt
Wenn ihr mit mir in die Luft geht
Und der Druck abfällt
Ich übernehme
Beim Schreiben von Gedichten spielen solche Wel-
len aus den unscharfen Zonen des Denkens, zu-
mindest für mich, eine große Rolle. Es ist wie
ein Wechseln vom zwei- zum mehrdimensio-
nalen Spiel des Hirns. Ehe ich mich für ein Wort
entscheide und so einen Fokus setze, zum Bei-
spiel auf »Fokus«, blitzen andere Vokabeln als
alternative Wahlmöglichkeiten auf. Zudem wird
ein ganzes Feld von semantisch, klanglich, his
torisch oder assoziativ verknoteten Worten mit
angeschwungen. Alle diese Worte schieben sich
palimpsestartig über- und ineinander: »Fokus«,
»fixieren«, »Herd«, »Hokuspokus« und »küssen«.
Dieses aufleuchtende Geflecht von Ko-Fokussen,
Krokussen, vorführen – das kann die poetische
Sprache.
Das Wort »Blick« wurde früher laut Grimm’schem
Wörterbuch wie »Blitz« verwendet. Nicht nur
Menschen und Tiere konnten blicken, sondern
auch Feuer, Sonne und schimmerndes Gestein:
als
die sonne den pulverthurm der wetterwolke über
ihmmit ihren heiszen blicken entzündete und in
tausend blitze und schläge zersprengte.
(Jean Paul)
Wohin soll dieser Blick sich nun wenden, richten,
werfen, heften, senken, fallen lassen, schärfen oder
gar schießen? Kurz mal die Augen rollen. Schon
kann der Blick lecken und blinken, flackern und
linken. Schon blickt das Wort zurück.
Defokussieren täte uns gut und not, meine ich,
nicht nur beim Dichten. Die Blick-Hierarchien
hinterfragen und statt Optimierungskämpfen im
unscharfen Bereich des Rundum Entdeckungen
machen. Das »Draußen« und »Du« als Schön-
heit und Provokation zulassen, à la H. D. (Hilda
Doolittle):
Man’s chief concern is keeping his little
house warm und making his little wall strong.
Outside is a great vineyard and grapes and rio-
ting and madness and dangers.
*durchlässig werden*
Als fortschreitenden Verlust verstehe ich lange Zeit
die Schrumpfung der lebenden Welt, Zurechtstut-
zung und Versiegelung rundherum. Von älteren
Landschaften bleibennurNamen, Hackmahdgasse,
Kaiserhölzlstraße. Am Steuer sause ich vorbei, da
war doch mal eine Baumgruppe, jetzt Baumarkt,
da liegt ein zerquetschter Igel am Kleeblattkreuz,
vorbei.
Der römische Straßenbau war zunächst
vor allem militärisch motiviert; Truppentrans-
porte sollten beschleunigt werden, um annektierte
Gebiete militärisch sichern zu können.
Das
Mobilisieren als Fundament unserer Mobilität.
Das »Erledigen« von Strecke ist nicht nur beim
Fahren und Fliegen längst Usus, sondern auch