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Die Entstehung von Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus

Einsichten und Perspektiven 2 | 17

MKD), in denen überwiegend NSDAP-Funktionäre und

Gegner der Besatzungsmacht gefangen gehalten wurden.

26

Das Gelände des ehemaligen KZ Ravensbrück wurde von

1945 bis 1994 von der Sowjetarmee bzw. den GUS-Streit-

kräften militärisch genutzt.

27

Nach der Auflösung der Speziallager begannen in der

DDR die Planungen für drei „Nationale Mahn- und

Gedenkstätten“(NMG).

28

Die von der SED politisch vor-

gegebene Geschichtsinterpretation, die in den Gedenk-

stätten vermittelt werden sollte, hob die „Rolle der KPD

als stärkster und führender Kraft gegen das verbrecheri-

sche Naziregime“ und den „antifaschistischen Wider-

stand“ hervor und leitete daraus „die historische Rolle der

Deutschen Demokratischen Republik“ als Konsequenz

der geschichtlichen Entwicklung ab. Die Gestaltung aller

drei Mahn- und Gedenkstätten wurde von einer Gruppe,

dem „Kollektiv Buchenwald“, nach einheitlichen inhalt-

lichen und künstlerischen Richtlinien entwickelt. 1958

wurde die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchen-

wald eingeweiht, die aber nicht auf dem historischen Ort

des Konzentrationslagers, sondern in einiger Entfernung

am Südhang des Ettersberges errichtet wurde. Ein Jahr

später wurde die NMG Ravensbrück am Rande des Lager-

geländes auf einer kleinen Fläche zwischen der Lager-

mauer und dem Schwedtsee eröffnet. 1961 folgte Sach-

senhausen. Diese drei Einrichtungen waren personell und

materiell großzügig ausgestattet, während andere Orte

mit ähnlicher historischer Bedeutung wenig beachtet und

vernachlässigt blieben. So wurde erst 1966 im Kremato-

rium des ehemaligen KZ Mittelbau-Dora eine Mahn- und

Gedenkstätte mit einer kleinen Ausstellung eingerichtet,

für die sich vor allem ehemalige Häftlinge, insbesondere

aus Frankreich und Belgien, eingesetzt hatten. Ein Jahr

zuvor wurde in dem Zellentrakt des ehemaligen KZ im

Schloss Lichtenberg eine Mahn- und Gedenkstätte eröff-

net, die ebenfalls auf die Initiative ehemaliger Häftlinge

zurückging.

Zusammenfassung

In dem ersten Vierteljahrhundert nach der Befreiung

waren es vor allem Opfer der nationalsozialistischen Ver-

folgung – insbesondere ehemalige politische Häftlinge und

Widerstandskämpfer – und deren Angehörige, die sich

für die Errichtung von Mahnmalen und Gedenkstätten

26 Vgl. Endlich u.a. (wie Anm. 12), S. 323 und 896 f.

27 Vgl. ebd., S. 272.

28 Vgl. zum Folgenden: Endlich (wie Anm. 4), S. 354 und 360.

einsetzten. Unterstützung bekamen sie von kleinen Grup-

pen und einzelnen Personen aus dem christlichen und

linken Spektrum der Gesellschaft, die sich bereits damals

für einen offenen Umgang mit der nationalsozialistischen

Vergangenheit einsetzten und deren frühes Engagement

sich auch für die spätere Entwicklung von Gedenkstät-

ten als bedeutsam erweisen sollte. So wurde die 1958 auf

der Synode der Evangelischen Kirche Deutschlands ins

Leben gerufene „Aktion Sühnezeichen“ (ab 1968: Aktion

Sühnezeichen Friedensdienste), die in den Sechziger und

Siebziger Jahren viele Freiwillige zu sozialen Hilfsdiens-

ten ins Ausland, darunter auch in polnische Gedenkstät-

ten, entsandte, in den achtziger Jahren mit ihrem 1983

gegründeten Gedenkstättenreferat zu einem Kristallisati-

onskern der sich damals entwickelnden Gedenkstätten­

arbeit und -initiativen.

29

Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass in der

Bundesrepublik infolge des „Ost-West-Konfliktes“ die

kommunistischen Opfer des Nationalsozialismus erneut

stigmatisiert und verfolgt wurden. Der kommunistische

Widerstand hatte in der Erinnerungs- und Gedenkkultur

zunächst nicht nur keinen Platz, sondern er wurde durch

die damals vorherrschende Totalitarismustheorie, die

Nationalsozialismus und Stalinismus als ähnliche diktato-

rische Systeme ansah, in ein negatives Licht gesetzt.

30

Wenngleich jede Gedenkstätte ihre eigene Entste-

hungsgeschichte hat, lassen sich in vielen Fällen Desin-

teresse und Ablehnung durch die lokale Bevölkerung,

Behörden und politische Entscheidungsträger ausma-

chen. In diesen Entstehungsgeschichten spiegelt sich

der Umgang der bundesrepublikanischen Gesellschaft

mit der Nazivergangenheit, der bei genauerer Betrach-

tung zwar nicht auf den schlichten Gegensatz von Ver-

drängung oder Aufarbeitung reduziert werden kann,

aber doch auf der Ebene der Erinnerungspolitik durch

einen defensiven Pragmatismus und auf der Ebene der

kollektiven Einstellungen überwiegend durch Ignoranz

und Selbstviktimisierung gekennzeichnet war. Die Ent-

wicklung des Opfergedenkens und die Etablierung von

Gedenkstätten in der (alten) Bundesrepublik wird aus

heutiger Sicht vielfach als „Erfolgsgeschichte“ gedeu-

tet. Für das erste Vierteljahrhundert nach der Befreiung

29 Vgl. Manfred Wittmeier: Internationale Jugendbegegnungsstätte Ausch-

witz. Zur Pädagogik der Erinnerung in der politischen Bildung, Frankfurt

am Main 1997, S. 216 f.; Wolfgang Raupach-Rudnick: Die Gründung des

Gedenkstättenreferates der Aktion Sühnezeichen e.V., in: Gedenkstätten-

Rundbrief Nr. 100 (2001), S. 9–12.

30 Vgl. Wolfrum (wie Anm. 2), S. 174.