aviso 1 | 2015
DIGITALE WELTEN
COLLOQUIUM
|32|
passieren! Ihre Gedanken schweifen ab.
Vor ihrem inneren Auge tauchten Bil-
der auf. Sie liegt auf dem Boden, ohne
Tasche und Handy, mit blutender Nase
und schmerzendem Hinterkopf. Man
hat sie niedergeschlagen und ausgeraubt.
Das ist jetzt sechs Monate her, drei Mo-
nate nach ihrem Abitur.
Nicht nur das Erleben von Gewalt, auch
das Betrachten von Gewaltfilmen oder,
schlimmer noch, von Videos, die reale
exzessive Gewalt dokumentieren, kann
bei Kindern, Jugendlichen und emp-
findsamen Erwachsenen zu psychischen
Beschwerden führen. Auch Kinder kön-
nen durch Konsum nicht-altersgerechter
Medien psychische Symptome oder gar
psychische Krankheiten entwickeln. In
Extremfällen können sie durch den Kon-
sum von Gewaltvideos sogar eine Post-
traumatische Belastungsstörung (PTBS)
entwickeln. PTBS-Patienten leiden vor
allem unter Flashbacks, nervöser Unru-
he, Alpträumen und Vermeidungsverhal-
ten. Kinder können ihre Beschwerden
oft nicht artikulieren. Bei ihnen kann
zunächst nur eine Wesensveränderung
auffallen, beispielsweise in Form einer
plötzlich einsetzenden und anhalten-
den Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit.
Nach dem Überfall hat Petra ihr gerade
aufgenommenes Studium abgebrochen
und auch den Job in einer Kneipe an
den Nagel gehängt, da sie zu große Angst
hatte, sich in die Öffentlichkeit zu bege-
ben. Irgendwann hat sich zur Angst auch
noch Scham hinzugesellt – wie sie jetzt
aussieht! Sie hat panische Angst, dass ihr
wieder jemand etwas antun kann. Außer-
dem funktioniert an ihrem Smartphone
draußen das Internet oft nicht richtig. Da
könnte sie etwas Wichtiges verpassen! Sie
hat ja im Internetspiel gerade erst einen
coolen Typen kennengelernt, der sie sehr
attraktiv findet. Und da muss sie jetzt
am Ball bleiben.
Das Internet birgt noch weitere Gefah-
ren für die psychische Gesundheit von
Kindern und Erwachsenen, nämlich
Internetforen, die selbstschädigendes
Verhalten glorifizieren. Dazu zählen
Chatrooms, die Magersucht und Selbst-
mord verherrlichen. Kinder und Jugend-
liche, aber auch Erwachsene mit vermin-
dertem Selbstwertgefühl oder fehlendem
Freundeskreis sind besonders gefährdet,
Opfer derartiger Foren zu werden. Oft
unterschätzt wird das Risiko des Cyber-
stalkings, das gerade in sozialen Foren
eine Rolle spielt. Cyberstalking, auch
Cyberbullying oder Online-Mobbing
genannt, bezeichnet Stalkingtätigkeiten,
die mit Hilfe technischer Kommunika-
tionsmittel durchgeführt werden. Opfer
von Cyberstalking werden beispiels-
weise in der Internet-Öffentlichkeit
bloßgestellt oder anonym bedroht. Der
damit verbundene Stress kann das
Auftreten psychischer Krankheiten, in
schweren Fällen verbunden mit Selbst-
mordabsichten, fördern.
Ein paar Tage später passiert eine Kata-
strophe für Petra – ihr Internetzugang
funktioniert nicht mehr. Weder mit dem
PC noch mit ihrem Smartphone kann
sie online gehen. Nach einer Stunde
bekommt sie Herzrasen – sie muss un-
bedingt ins Forum beziehungsweise in
ihre Mailbox und sie muss außerdem das
Spiel fortsetzen. Sie will beim Internet-
Provider anrufen, doch ihr Handy ist tot!
Kein Empfang! Petra wird sehr unruhig.
Sie rennt zu ihremFestnetz-Telefon. Das
funktioniert zum Glück noch. Der Pro-
vider teilt ihr mit, dass ihr Handy und
ihre Internetverbindung abgeschaltet
worden seien, da sie seit zwei Monaten
mit den Zahlungen in Verzug sei. Petra
legt auf. Ihr wird bewusst, dass ihre klei-
nen Ersparnisse offenbar aufgebraucht
sind. Das ganze Geld, das ihre Oma ihr
zum Abitur geschenkt hat, ist also auch
weg! Von ihren Eltern hat sie nichts zum
Abitur bekommen. Kein Wunder, denn
mit denen hat sie sich ja auch noch nie
gut verstanden. Dass sie jetzt pleite ist,
konnte doch nicht an den paar Paketen
liegen, die sie in Online–Shops bestellt
hatte? Sie hatte in den letzten Monaten
insbesondere Kleidung gekauft. Das
ging sehr schnell, aussuchen und zwei
Klicks, dann war das Paket unterwegs.
Die meisten dieser neuen Kleidungs-
stücke passten oder gefielen ihr jedoch
nicht. Irgendwann hatte sie aufgegeben,
auch nur zu versuchen, zur Post zu gehen,
um die Rücksendungen aufzugeben. Da-
her waren die Rücksendefristen für die
etwa 50 bei ihr herumliegenden Pakete
längst abgelaufen.