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Die Interviews

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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 15

tär kam, habe ich mir überlegt, meine Eltern brauchen

das Geld, das ich verdiene, eigentlich nicht, ich brauche

es auch nicht. Es ist meine Pflicht, hier für das Land was

zu tun, damit nicht nochmal sowas passiert. Also arbei-

tete ich in einem Militärlager in der Wüste in Ägypten

zwischen Kairo und Ismailia. Dort habe ich meinen späte-

ren Mann getroffen und wir haben während des Militärs

geheiratet und sind zur Hochzeit nach Israel gefahren.

Gibt es einen Gott?

Mein Großvater hat jeden Tag gebetet und hatte auch

ein Mützchen auf dem Kopf. Bei uns zu Hause wurden

freitagabends Lichter angezündet und ein Gebet gespro-

chen. Aber sonst sind wir immer am Sonnabend gefahren.

Meine Großeltern waren

koscher

, bei uns gab es getrenntes

Geschirr, aber es wurde auch ganz gerne mal was Gutes

gegessen.

Aber die Sache, ob man an Gott glaubt, ist ein großes

Thema. Ich weiß nicht, ob es einen Gott gibt. Ich glaube

an ihn, weil es meine Religion ist. Aber bei all dem, was

passiert, gibt es einen Gott? Da würde ich eher ein Athe-

ist sein. Jedoch kann ich auch nicht sagen, wenn’s einen

lieben Gott geben würde, hätte er Hitler nicht so weit

kommen lassen. Das ist meiner Ansicht nach falsch. Ich

bewundere Leute und finde es sehr schön, dass es Leute

gibt, die das können, an Gott zu glauben. Es ist zu weit

weg. Jedoch nehme ich hier auch Kurse, in denen man in

der Bibel liest, weil ich eigentlich nicht genügend darüber

weiß, aus Interesse an Geschichte.

Als Kind hab ich jeden Abend gebetet, behüte Vati und

Mutti und all das, lieber Gott. Jedem Kind sagt man doch,

dass es den lieben Gott gibt. Ich lehne es nicht ab, aber ich

kann es mir nicht vorstellen, dass es so etwas gibt oder wie

es möglich ist, dass da oben irgendwas ist.

Alle waren im BDM

Es gab so einen Witz: „Ich hab einen guten Juden

gekannt“. Warum sind die Juden nun wirklich so verhasst?

Was haben wir denn den Deutschen angetan? Wenn man

gesehen hat, dass eine Familie so viele Warenhäuser auf-

stellt, gab es wahrscheinlich Christen, die gesagt haben,

wieso haben diese Juden so einen Erfolg? Dabei war das

ja auch Arbeitsbeschaffung für die christliche Einwoh-

nerschaft von jeder Stadt. Unsere Dienstmädchen haben

immer gesagt, sie wollen nur bei Juden arbeiten, denn sie

haben es bei uns besser als in christlichen Familien.

Wieso haben alle Eltern ihre Kinder im BDM oder

der

HJ

eingeschrieben? Das war schon in der Schule in

Nürnberg so. In der ersten Unterrichtsstunde stand die

Klasse auf: „Heil Hitler“. In dieser Klasse waren 32 Mäd-

chen, davon 31 im BDM. Die eine war ich, die nicht im

BDM war. Wenn ich nicht Jüdin gewesen wäre, sondern

aus christlichem Haus, wäre man hundert Prozent an

demselben Tag zu den Eltern gegangen und hätte den

Vater inhaftiert. Die wurden alle dazu gezwungen. Viel-

leicht waren sie nicht immer der Ansicht. Aber erstens

waren alle Freundinnen drin und zweitens kann man

verstehen, warum die alle in die Hitlerjugend gegangen

sind, wenn jeden Tag gesagt wird, dass da jemand nicht

drin ist.

Es ist Geschichte!

In Nürnberg hatten wir einzelne Bekannte, die eingesperrt

wurden. Einem hat man versprochen, er werde zur

Bar

Mitzwa

seines Sohnes nach Hause kommen. Am Morgen

dieses Tages kam man und sagte: „Es tut uns sehr leid, aber

der Herr Dr. Kratz hat sich in seiner Zelle aufgehängt.“

Es gab Abschiedsbriefe aus den KZs, vorgedruckt vom

Roten Kreuz. Auch die Schwester meiner Schwiegermut-

ter hatte so einen Brief noch zu Hause: „Liebes Annchen,

ich wollte Dir nur sagen, es geht uns sehr gut.“ Wenn sie

geschrieben haben, es gehe ihnen gut, haben wir gedacht,

sie müssen vielleicht ein bisschen arbeiten. Dass sie dort

gestorben sind, hat man erst gemerkt, als man gesehen

hat, dass sie nach dem Krieg nicht mehr nach Hause

gekommen sind.

Ich würde nicht, wenn ich die Gelegenheit hätte, einen

Christen irgendwo umbringen. Es ist ja überhaupt nicht

meine Lebenseinstellung, einen Menschen zu töten.

Ich hatte heute Vormittag fast einen Zusammenstoß

mit jemandem, die mir gesagt hat, ich soll das nicht

alles sagen. Doch ich finde, man muss es sagen. Es ist

doch Geschichte, es ist so, als ob sie ein Geschichtsbuch

lesen. Da sind auch schlimme Sachen drin! Ich finde es

nicht richtig das Verschweigen, es ist Geschichte! Es ist

Geschichte.

Aber kann die Menschheit daraus was lernen?

Protokoll: Jan Halbig, Quoc Khang Phan, Johannes Probst