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Die Interviews

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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 15

Leopold Yehuda Maimon: Heute will ich nicht

mehr hassen

Leopold Yehuda Maimon, genannt Poldek, wurde am 2.

Februar 1924 in Krakau geboren. Er ging auf eine hebrä-

ische Grundschule, später auf ein zionistisches Gymnasium

und führte ein normales Leben. Doch am 6. September 1939

änderte sich mit dem Einmarsch der Deutschen und der Iso-

lation der Juden im Krakauer Ghetto alles für ihn. Poldek

wollte die Taten der Deutschen nicht hinnehmen, trat einer

Untergrundorganisation bei und leistete so Widerstand. Die

Ghetto-Kämpfer verübten unter anderem einen Anschlag auf

ein von deutschen Offizieren besuchtes Café. Mit 18 Jahren

wurde er nach Auschwitz deportiert und nach vielen Mona-

ten schaffte er es, mit vier Mitgefangenen beim Todesmarsch

zu entkommen. Nach der Befreiung durch die Rote Armee

schloss er sich der Rächergruppe Nakam an, von deren Taten

er heute allerdings nicht mehr überzeugt ist. Er heiratete seine

jetzige Frau Aviva und arbeitete mit ihr bei der Alija mit, die

Juden half, nach Palästina zu gelangen. Zusammen kamen

sie über Umwege nach Israel. Inzwischen hat Poldek zwei

Kinder und sieben Enkelkinder.

Leopold ist kein jüdischer Name

Ich hatte ein sehr schönes Leben. Wir hatten warmes Was-

ser und meine Eltern waren zwar nicht reich, aber beschei-

den wohlhabend. Und ich habe geglaubt, eine sehr schöne

Zukunft zu haben. Deshalb gaben meine Eltern mir den

Namen Leopold, weil sie wollten, dass ich ein Doktor oder

ein Professor werde. Leopold ist nicht so ein jüdischer

Name. Mein zweiter Name ist Yehuda, ich habe also auch

einen hebräischen Namen bekommen. Seit ich zehn bin,

bin ich in einer zionistischen Bewegung, und schon damals

war mein größter Traum, einmal nach Palästina auszuwan-

dern und dort in eine Landwirtschaftsschule zu gehen.

Meine Eltern wollten aber, dass ich ein Doktor werde, ein

Arzt oder ein Advokat. Mich allerdings zog es schon immer

in ein

Kibbuz

, wo ich als Bauer arbeiten wollte. Deshalb

hatte ich auch Konflikte mit meinen Eltern. Die waren

zwar auch Zionisten, aber sie wollten, dass ich zuerst einen

Titel habe. Aber das war ja leider schnell nicht mehr wich-

tig. Der Krieg hat dieses Problem gelöst. [lacht]

Die Deutschen beschlossen, die Juden zu vernichten

Am 6. September 1939 marschierten die Deutschen in Kra-

kau ein. Poldek konnte das Gymnasium abschließen und

bis zum März des Jahres 1941 mit seiner Familie in einer

gewöhnlichen Wohnung leben. In diesem Monat kam jedoch

der Befehl, dass die meisten Juden Krakau zu verlassen hat-

ten, und nur noch 20.000 der 65.000 Juden konnten weiter-

hin dort leben, mussten jedoch in ein Ghetto ziehen:

Im Ghetto hat jede Familie zuerst ein Zimmer bekom-

men; so musste zum Beispiel eine Wohnung mit drei Zim-

mern für drei Familien ausreichen. Ich kann mich nicht

erinnern, ob die Größe der Familie berücksichtigt wurde

oder nicht. Das war sehr schwer. Man durfte das Ghetto

nicht verlassen, nur zur Arbeit, und das Ghetto war sehr

klein, obwohl 20.000 Juden darin lebten. Man hat von dem

gelebt, was man verkaufte, oder ist rausgegangen zur Arbeit.

Zu Beginn des Jahres 1942 drangen erste Informationen

darüber ins Ghetto durch, dass die Deutschen beschlossen hat-

ten, alle Juden zu vernichten.

Am Anfang glaubte man, dass der Krieg sehr kurz sein

würde, aber nach drei Jahren war immer noch kein Ende

in Sicht. Und wir hatten die Ideologie, nach Palästina zu

fahren! Deshalb suchten wir einen Weg, von den Deut-

schen wegzulaufen, vom Land, das von der deutschen

Regierung beherrscht wurde. Und wir haben einen Weg

nach Palästina gesucht.

Die alten Zionisten sagten, sie glaubten nicht, dass die

Deutschen beschlossen hätten, alle Juden zu vernichten.

Das kann nicht passieren, Deutschland sei eins von den

Ländern, das große Philosophen hat, große Musikanten,

große Schreiber, es kann nicht sein, dass die beschlossen

haben, ein anderes Volk zu vernichten. Aber leider, das

war nicht richtig.

In der Todeszelle

Am 22. Dezember 1942 haben wir eine große Aktion

gemacht. Wir haben Molotowcocktails auf ein größeres

Café-Haus in

Krakau

geworfen. Das haben wir nicht allein

Leopold Yehuda Maimon

Foto: Christian Oberlander