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Die Interviews
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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 15
aufhören. So etwas wie Mord und Quälen, das haben ja
die Deutschen dann gemacht, denn man hat die Leute ja
nicht an die Wand gestellt und erschossen, sondern man
hat sie vergast. Aber die meisten hat man erst wochenlang
und monatelang gequält mit harter Arbeit und schreckli-
chen sanitären Zuständen. Und einem Teller Wassersuppe
mit ein bisschen Brot. Und zum Schluss hat man sie doch
umgebracht.
Ich finde es wichtig, mit Deutschen zu sprechen
Hier im Heim spricht man wenig über die Zeit damals.
Weil die Leute, die es erlebt haben, die wollen es lieber
vergessen und die anderen drängen auch nicht. Aber ich
finde es wichtig, mit Deutschen darüber zu sprechen.
Damit die Jugend sich klar wird, was da passiert ist.
Ich finde, ganz Deutschland war damals schuld. Ja,
denn die andern haben weggeguckt. Aber die Deutschen
von heute, die fühlen sich jedenfalls nicht schuldig, die
haben ja auch nichts verbrochen.
Meine Enkel und Urenkel fragen nicht nach demHolo-
caust,
wir sind nicht das Elternhaus, das von der
Shoah
geprägt ist. Ich spreche immer noch deutsch. Ich habe
sogar mit meinen in Israel geborenen Kindern deutsch
gesprochen. Und wenn mein Sohn mich anruft, sprechen
wir deutsch.
Die Deutschen im Wohnheim sprechen untereinander
deutsch. Aber ich werde Ihnen sagen, die sogenannten
Deutschen sterben aus, in zehn Jahren, da gibt es dann
keine mehr. Dieses Haus hat wirklich deutsch gesprochen.
Aber das ist vorbei. Es gibt mehr Leute, die untereinander
hebräisch oder polnisch sprechen, als es Deutsche gibt.
Denn die Deutschen sind alle über 80.
Ich lebe seit einem dreiviertel Jahr hier. Ich habe es mir
sehr schwer gemacht, denn ich habe über 60 Jahre in mei-
ner Wohnung gelebt. Mir geht es hier gut, ich bin aber
auch kein Meckerer. Aber jetzt ist hier mein Zuhause. Ich
verstehe mich mit allen und habe hier auch eine Freundin
gefunden. Eine, die ich vorher nicht kannte. Sie kam aber
erst nach mir. Und ich habe mich hier wunderbar einge-
lebt. Ich will auch gar nicht mehr woanders hin.
Protokoll: Lea Himmel, Jonas Röder, Michael Winter
Herzl Kaveh: „Ein Engel hat mich damals
beschützt“
Der heute 91-jährige Herzl Kaveh wuchs in Polen in einem
kleinen Dorf zwischen Warschau und Bielany mit zwei
Schwestern auf. Herzls Familie besaß ein Gasthaus, in dem er
auch mit anpacken musste. „Da ging es nicht darum, dass man
irgendwie ein Hobby hat, sondern da musste man sich eben am
Leben halten, weil die wirtschaftliche Situation sehr schwierig
war, und die Kinder mussten den Eltern helfen, um den Tag
zu überleben.“ Da er nur noch wenig Deutsch konnte, hatten
wir zusätzlich eine Übersetzerin in unserer Runde. Heute lebt
er alleine im Pinchas Rosen Parents’ Home in Ramat Gan, Tel
Aviv, seine Frau ist bereits mit 52 Jahren verstorben.
Antisemitismus in der Schule
Ich kann nicht sagen, dass ich den Antisemitismus zunächst
direkt gespürt habe, denn es gab eine jüdische Schule. Die
wurde dann aber geschlossen und alle jüdischen Kinder
mussten in eine polnisch-christliche Schule. Dort saßen
natürlich wenige jüdische Kinder mit vielen polnischen Kin-
dern und da gab es dann schon Antisemitismus. Aber weil
ich sehr gut in Sprachen war, konnte ich sehr gut polnisch
und deutsch und habe den anderen immer geholfen und sie
abschreiben lassen, deshalb haben sie mich in Ruhe gelassen.
Der Einmarsch der Wehrmacht
Nachdem die Wehrmacht 1939 in Polen eingefallen ist
und Polen erobert hat, hat sich natürlich alles geändert.
Umgehend wurden dann einfach Kinder aus den Höfen
und aus den Häusern rausgeholt und gleich zu verschiede-
nen Arbeiten mitgenommen. Ich landete also mit 16 Jah-
Herzl Kaveh
Foto: Christian Oberlander