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unterschied beispielsweise entschied noch im
19. Jahrhundert direkt über die Zulassung zur
universitären Bildung. Heute gibt es keine for-
malen Bildungsbeschränkungen hinsichtlich des
Geschlechts, wohl aber Unterschiede in der Art,
wie es Jungen und Mädchen gelingt, die Bildungs-
angebote zu nutzen. Und es deutet einiges darauf
hin, dass heute Jungen eher zu Bildungsverlie-
rern werden als Mädchen. Allerdings dominieren
sie auch in der Gruppe der Leistungsstärksten.
Eine solche Ungleichheit kann nicht mit dem bio-
logischen Geschlecht selbst erklärt werden, zu-
mal das Bildungssystem bewusst gleiche Ange-
bote für Jungen und Mädchen macht. Hier wirken
gesellschaftliche und schulimmanente Einflüsse
zusammen und führen zu einer nicht beabsichtig-
ten Ungleichheit.
Individuelle Lerndispositionen
Eine größere Nähe zu Schulleistungen haben
die individuellen Lerndispositionen, die jedes Kind
mitbringt. Darunter fallen all jene Bedingungen,
die kognitiv, emotional, motivational und auch
physisch das Lernen beeinflussen. Sie sind das
Ergebnis des Zusammenspiels von genetischen
Veranlagungen und Umweltangeboten. Dazu ge-
hören zum Beispiel die Sprache, die Intelligenz,
die Metakognition, vor allem aber auch die Vor-
kenntnisse. All das entfaltet sich auf der Basis des
genetischen Potenzials je nach den Erfahrungs-
möglichkeiten, die die jeweilige Umwelt bereit-
stellt. Kinder, die ein reichhaltiges Umweltange-
bot vorfinden und ausreichend Mittel, um es sich
zu erschließen – etwa in Form von zugewandten
und interessierten Erwachsenen –, sind hier im
Vorteil gegenüber jenen Kindern, die in einer an-
regungsarmen oder chaotischen Umgebung auf
wenig Unterstützung vonseiten der Erwachsenen
zählen können.
So hat jedes Kind seine eigene Lerngeschichte,
auch schon vor dem Eintritt in die Schule. Im
Angebot-Nutzungs-Modell von Helmke
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wird den
individuellen Lernermerkmalen – wie sie hier ge-
nannt werden – die höchste Relevanz für Schul-
leistung zugeschrieben. Auf diese Merkmale hat
die Schule in einem gewissen Maß Einflussmög-
lichkeiten, indem sie sich auf die Unterschiede
mittels angepasster Angebote einstellt. So kön-
nen beispielsweise die Vorkenntnisse jeweils er-
fasst und – wenn nötig – ergänzt werden, sodass
sich Lernprozesse anschließen können.
III 1 Heterogenität als Herausforderung und Chance