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aviso 3 | 2017
AFRIKA IN BAYERN
COLLOQUIUM
Text:
Karin Guggeis
IM JAHRE 1888
erhielt die Königliche Ethnographische
Sammlung ein Geschenk von seinem damaligen Direktor Max
Buchner. Er inventarisierte es mit der Bemerkung: »Hüft-
Perlenschnur der Lukokessa, von ihr selbst erhalten zuMuss-
umba 1879«. Die Lukokessa war »die gynokratische Königin
des Lunda-Reiches« in Zentralafrika, wie Buchner in ei-
nemArtikel beschrieb, ihre Position eine Ergänzung und ein
Gegengewicht zumKönig. Beide hatten ihre eigenen Hierar-
chien, ihre eigenen Lehen und Dörfer. Die Lukokessa war ein-
fach gekleidet, hatte den bevorzugtenMann in ihremHarem
allerdings reich mit Kostbarkeiten ausgestattet, so auch mit
einem Dutzend der seltensten Glas- und Schmelzperlen als
Halsschmuck, wie Buchner betont. Was selten ist, gilt oft-
mals als kostbar. Entsprechend hatten Glasperlen aus Eu-
ropa im Lunda-Reich großen Wert.
Buchner schätzte die Hüftperlenschnur der Lukokessa sehr.
Dies zeigt sich daran, dass er sie in seinem persönlichen
Gepäck auf der Rückreise transportierte – zumGlück, denn
die übrigen in Kisten verschickten Gegenstände versanken
im Ärmelkanal.
ÜBER HUNDERT JAHRE
nach ihrem Eintritt in das
Museum erhielt die Hüftperlenschnur der Lukokessa eine
neue Bedeutung und Wertschätzung. Im Jahre 1997 erhielt
das Staatliche Museum für Völkerkunde, wie es mittlerweile
hieß, eine Dauerleihgabe des Ethnographischen Instituts der
Universität Erlangen. Darunter befand sich eine Pappkarte
Bayerische Glasperlen einer afrikanischen Königin in einem königlich bayerischen Museum
mit Glasperlen, eine sogenannte Musterkarte. »Perles bava-
roises«, bayerische Perlen, wurden diese Perlen bezeichnet,
unterschieden in die Kategorien runde Perlen, ovale Perlen,
Ringelperlen und Paterlein. Bei meinen Forschungen stieß
ich im Depot auf die Hüftperlenschnur der Lukokessa, und
tatsächlich – ein Vergleich zeigte, dass die größeren Ringel-
perlen auf der Musterkarte genau dieselben waren, mit einem
leicht anderen Grünton. Auf der Rückseite der Musterkarte
hatte Otto Berninger, der damalige Direktor des Geographi-
schen Instituts der Universität Erlangen, vermerkt, dass es
sich bei den Perlen um Erzeugnisse der 1942 geschlossenen
Glasperlenfabrik im fränkischen Birnstengel bei Bischofsgrün
handelt. Und zwar vornehmlich für den Export nach Afrika.
DIE VERBINDUNG ZWISCHEN
der Hüftperlenschnur der
Lukokessa und der Musterkarte mit ›bayerischen Perlen‹
macht zwei Aspekte deutlich. Nicht nur Glasperlen aus Böh-
men oder Venedig waren Teil des globalen Handels, sondern
auch solche aus Bayern, genauer aus dem kleinen fränkischen
Birnstengel. Und diese globalen Handelswaren wurden lokal
angeeignet, den Bedürfnissen der jeweiligen Gesellschaft in
fernen Regionen entsprechend nutzbar gemacht – wie hier
als Aufwertung der Hüftschnur der Lukokessa mit den für
ihre Gesellschaft kostbaren Glasperlen.
Karin Guggeis M.A.
ist Ethnologin und betreut im
Museum Fünf Kontinente die Sammlungen Fotografie und
Manuskripte & Schriften.
Schmuck für den »Haremsmann«
links
Die Hüftperlenschnur der Lukokessa. Sie besteht aus Ringperlen, wie sie in der Glashütte im fränkischen Birnstengel hergestellt wurden.
daneben
Auch an einigen anderen afrikanischen Objekten im Museum Fünf Kontinente finden sich »bayerische Perlen«, wie die weißen runden
Perlen bei dieser Hausschutz-Figur aus dem Kongo-Gebiet.
rechts
Auf der Musterkarte der Glasperlenfabrik in Birnstengel ist die Produktpalette der Formen, Größen und Farben zu sehen.
© Marietta Weidner, Museum Fünf Kontinente | Veronika Grahammer, Museum Fünf Kontinente