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aviso 3 | 2017
AFRIKA IN BAYERN
COLLOQUIUM
Als im November 1981, mitten in der oberfränkischen Pro-
vinz, das Iwalewahaus als Haus für Kunst und Wissen-
schaft gegründet wurde, war noch nicht absehbar, welche
Bedeutung dieses Museum gewinnen würde, das sich seit
2015 in seinem neuen Domizil gegenüber dem Markgräfli-
chen Opernhaus befindet. Wer sich heute mit der Kunst der
Moderne und Gegenwart Afrikas befasst, kennt das Iwale-
wahaus. Mit dem neuen Standort haben Bayreuth, Bayern
und die globale Kunstwelt einen Ort von bemerkenswerter
Strahlkraft gewonnen.
Die Ära Ulli und Georgina Beier
Schon Anfang der 1980er-Jahre war das Iwalewahaus das,
was James Clifford in den 1990er-Jahren als Idealtypus
des Museum als Contact Zone forderte: Ein Haus des dia
logischen Austauschs und der Begegnung. Als Labor und
Ideenschmiede für Kunst und Kultur wurde das Iwalewa-
haus zum Ort der kritischen Selbstreflektion. Das Iwale-
wahaus ist ein Museum, das auch über den globalen Nor-
den hinaus zu undisziplinierten Begegnungen zwischen
Kunst und Künstler*innen, Ästhetik, Wissenschafts- und
Alltagskultur einlädt. Entscheidend geprägt hat dieses
Profil Ulli Beier mit seiner Frau, der Künstlerin Georgina
Beier.
Auch das Herzstück des Hauses, seine Sammlung, geht auf
die Privatsammlung Ulli Beiers zurück, die von der Uni-
versität in den 1980er-Jahren angekauft wurde. Über Jahr-
zehnte wuchs sie zur bedeutendsten institutionellen Samm-
lung der afrikanischen Moderne in Europa an.
Faszination für Outsider-Kunst
Im ersten Jahrzehnt nach der Gründung des Iwalewahaus
ging es Ulli Beier nicht nur um Afrika, sondern um die
damals sogenannte Dritte Welt sowie um die Kunst der
Outsider. Seine Begeisterung für Kunstwerke psychisch
beeinträchtigter Künstler*innen entflammte 1951 zufällig,
als er während seiner Zeit als Englischlehrer in Nigeria an
der University of Ibadan einen Patienten im Lantoro Men-
tal Hospital besuchte. Beier war von dem Ort und seinen
Patient*innen fasziniert und besuchte das Krankenhaus
18 Monate lang wöchentlich. Er brachte den Patient*innen
Malutensilien und eine Gruppe von 20 Interessierten, alle
samt Männer, schufen einen bis heute faszinierenden Kor-
pus an Kunstwerken. Diese Arbeiten von Patienten eines
psychiatrischen Krankenhauses sammelten die Beiers.
Beiers erste Ausstellung hatte den Titel: »Glücklose Köpfe:
Malereien vonVer-rückten ausNigeria«. DieWerke sind heute
(wieder) Teil der Iwalewahaus Sammlung. Zu den »Glück-
losen Köpfen« gesellten sich in Folge viele weitere Arbeiten,
wie etwa die in Georgina Beiers Workshops mit autodidak-
tischen Künstlern in den Jahren 1964 bis 1966 in Oshogbo
entstandenen. Weitere Kunstwerke von Autodidakten aus
anderen afrikanischen Ländern, Indien, Papua-Neuguinea
und Australien kamen hinzu.
Erweiterung der Sammlung
Wie die Beiers drückten auch die nachfolgenden Leiter dem
Haus jeweils ihren Stempel auf. Im Laufe der vergangenen
36 Jahre hatte das Iwalewahaus fünf Direktoren, wobei Ulli
Beier zweimal dem Haus vorstand. Mit jeder Ägide erwei-
terten sich die regionalen Sammlungsschwerpunkte von
Nigeria nach Senegal, Côte d‘Ivoire, über Ostafrika zum
lusophonen Afrika.
Heute vereint die Sammlung des Iwalewahaus moderne und
zeitgenössische Kunstwerke, ethnographische Objekte sowie
populärkulturelle Arbeiten aus Afrika und seiner Diaspora
sowie Australien und Papua-Neuginea. Die Afrikasammlung
umfasst vor allemWerke der Moderne Afrikas, insbesondere
Arbeiten der Oshogbo-Schule und der Nssukka School,
beide aus Nigeria. Objekte aus Ostafrika, Benin, Simbabwe
und Namibia kamen in jüngster Zeit durch Zustiftungen,
etwa der Sammlungen Kindermann und Kleine-Gunk, hin-
zu. Das Künstler*innen-Residenzprogramm bereichert mit
zeitgenössischen Arbeiten derzeit vor allem von kenianischen
und angolanischen Künstler*innen die Sammlung.
Auch inhaltlich passte sich die Ausrichtung des Hauses im-
mer wieder aktuellen Diskursen an. Während die Beiers
den Dialog mit Künstler*innen in den Vordergrund stellten,
wurde das Iwalewahaus nach ihrem Weggang wissenschaft-
licher und widmete sich, je nach Direktor, der Ethnologie,
der Medienkunst oder auch der Populärkultur.
Ein undiszipliniertes Haus der Kunst
Aktuell, unter der Leitung von Ulf Vierke und Nadine Sie-
gert, erlebt das Künstler*innen-Residenzprogramm der
Beiers seinen zweiten Frühling: Erneut ist es ein eben-
so offenes wie undiszipliniertes Haus der Kunstproduk-
tion, -vermittlung und -forschung, in deren Mittelpunkt
Gastkünstler*innen und Sammlung stehen. Die Sammlung
ist dabei nicht nur für die Künstler*innen, sondern auch
für die internationale Kunstwelt ein Juwel. Renommierte
Häusern wie die Tate Modern in London oder das Haus
der Kunst in München fragen regelmäßig Werke für ihre
Ausstellungen an.
Archiv – Kunst – Utopie
Das Iwalewahaus ist eine der zentralen Einheiten der Afri-
kaforschung an der Universität Bayreuth und an allen wich-
tigen Verbundprojekten beteiligt. Über zwei Jahrzehnte wa-
ren das die Sonderforschungsbereiche (SFBs), heute sind es
die Bayreuth International Graduate School of African Stu-
dies (BIGSAS) und die Bayreuth Academy of Advanced Afri-
can Studies (BA), an deren Beantragung und Durchführung
das Iwalewahaus maßgeblich beteiligt ist. Zusammen mit
der Direktion bilden die Mitarbeiter*innen des Iwalewahaus
ein über 20-köpfiges Team, welches künstlerische und uni-
versitäre Kompetenzen vereint. Die Institution versteht sich
© Sam Hopkins