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Einsichten und Perspektiven 4 | 17

genauswahl vorgeworfen.

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Auch in den folgenden Wochen

dominierte die Flüchtlingssituation die Wahlkampf-Agen-

da.

18

Zeitgleich mit diesem thematischen Wendepunkt

begann auch der Abwärtstrend der Union in den Umfra-

gen. Aus der Perspektive der Demoskopie mündete die

Bundestagswahl „nach einer längeren ruhigen Phase doch

noch in ein dynamisches Finale“.

19

So öffnete sich in der

heißen Phase der Vorhang für die kleineren Parteien. Hier

stachen vor allem die AfD mit ihrer vieldiskutierten Nega-

tivkampagne und die jugendlich und „hip“ anmutende

FDP-Kampagne hervor. Trotz all dieser „Kipp-Punkte“

konnte der Wahlkampf 2017 – gerade unter dem Eindruck

der immer wirkmächtigeren Umfragedaten – kaum Dyna-

mik entwickeln. Martin Schulz kämpfte als Kanzlerkandi-

dat ohne Machtoption allein auf weiter Flur, aber auch die

kleineren Parteien waren ohne Koalitionsaussage auf ein-

samen Posten. Nicht zuletzt die Journalisten verfielen der

Wirkkraft der Demoskopie, indem sie sich früh auf den

Ausgang der Wahl festlegten.

Digitaler, populistischer, polarisierter und politisierter

Der Wahlkampf im Internet wird immer wichtiger.

Immerhin ist das Internet zu einem der wichtigsten Infor-

mationsmärkte für Wähler geworden. Parteien haben in

digitalen Kampagnen lange Zeit vor allem kostengünstige

Werbemöglichkeiten gesehen.

20

Trotz der Obama-Euphorie

nach 2009 sind Online-Wahlkämpfe in Deutschland zwar

zum integrierten Bestandteil der Kampagnen geworden, sie

wirkten aber bisweilen aufgesetzt und waren ineffizient.

21

Das Wahljahr 2017 muss in dieser Hinsicht anders bewertet

werden, stand es doch ganz im Zeichen der Digitalisierung.

Die Kampagne der FDP, mit der die Partei in „Start-Up-

Manier“ zum Comeback kam, spielte gezielt mit Online-

Trends und machte Digitalisierung sogar zum zentralen

17 Vgl. Stefan Koldehoff: „Das journalistische Resultat war unterdurchschnitt-

lich“, Interview mit Volker Lilienthal,

Deutschlandfunk.de

v. 04.09.2017, ab-

rufbar unter:

http://www.deutschlandfunk.de/moderatoren-beim-tv-duell-

das-journalistische-resultat-war.2907.de.html?dram:article_id=395054

[Stand: 18.09.2017]; Kathleen Hildebrand: Die Angst der Moderatoren vor

dem Mob,

Sueddeutsche.de

v. 04.09.2017, abrufbar unter: http://www.

sueddeutsche.de/medien/tv-duell-die-angst-der-moderatoren-vor-dem-

mob-1.3652046 [Stand: 18.09.2017].

18 Vgl. Thomas Petersen: Nur scheinbar ruhig. Unterschiede zwischen den

Wahlkämpfen 2013 und 2017, in: Die politische Meinung 62/2017, H.

546, S. 99-102, hier S. 102.

19 Petersen (wie Anm. 18), S. 100.

20 Vgl. zu Online-Wahlkämpfen Frank Brettschneider: Wahlkampf: Funktio-

nen, Instrumente und Fake News, in: Bürger & Staat 67 7/2017, H. 2, S.

146-153, hier S. 150 f.

21 Vgl. Bianchi/Korte (wie Anm. 1), S. 301 f.

Thema. Damit schaffte es die Partei in bisher ungekannter

Art mit den Stilmitteln der digitalen Welt erfolgreich auf

Stimmenfang zu gehen. Auf der anderen Seite trat mit der

AfD eine Partei zur Wahl an, deren Strukturen teilweise

in digitalen Milieus gewachsen sind und deren Politikver-

mittlung erfolgreich auf die direkte Kommunikation über

Social Media setzt. Hier zeigt sich der Vorteil einer Partei,

die mit dem Internet aufgewachsen ist und relativ geschlos-

sene digitale Milieus anspricht, die bereits vor der Parteig-

ründung entstanden sind und sich zu einer starken Sympa-

thisanten-Basis entwickelten. Sie setzte sich im Wahlkampf

damit quasi „ins gemachte Netz“. An diesen Beispielen zeigt

sich, dass sich das Beziehungsgeflecht zwischen Wählern,

Parteien und Massenmedien verschoben hat und die direkte

Kommunikation über soziale Netzwerke den Parteien neue

Möglichkeiten bietet.

22

Die Massenkommunikation vor-

bei an klassischen „Gatekeepern“ wie der Presse verändert

aber die Gestalt von Öffentlichkeit und setzten sie unter

Druck. Wie bei keiner anderen Wahl zuvor wurden daher

auch die Gefahren des digitalen Strukturwandels diskutiert.

Die Fragmentierung der Öffentlichkeit in Echokammern,

Fake News als gezielte und ideologisch unterfütterte Falsch-

meldungen oder unter Manipulationsverdacht stehendes

Microtargeting

wurden gerade angesichts der Erfahrungen

aus der amerikanischen Präsidentschaftswahl als Bedrohung

wahrgenommen.

In Erscheinung traten diese auch im Zusammenhang

mit Populismus diskutierten Phänomene bei der Bundes-

tagswahl nur teilweise. Trotzdem stand der Bundestags-

wahlkampf 2017 im Zeichen eines veränderten politischen

Klimas. Die Kampagne der AfD setzte klar auf Stilmittel

des „Negative Campaigning“, was in Deutschland bisher

als verpönt galt.

23

Mit einem „Anti-Merkel-Wahlkampf“,

gezielten Provokationen, einem scharfen Ton und deutli-

cher Eliten-Kritik konnten die Rechtspopulisten bei ihrer

Wählerklientel punkten und sorgten zeitgleich bei ihren

politischen Kontrahenten sowie Medien für Irritationen

und Gegenreaktionen – die der AfD wiederum mehr Auf-

merksamkeit verschafften.

24

Auf der Seite der Wählerschaft

führte sich der 2013 begonnene Trend einer stärkeren

Polarisierung fort.

25

Ganz im Gegensatz zur Bundestags-

wahl 2013 beschäftigten sich die Bürger aber auch deutlich

22 Vgl. Brettschneider (wie Anm. 20).

23 Vgl. Viola Neu: Wahljahr der Wendungen. Eine erste Einordnung, in:

Die politische Meinung 62/2017, H. 546, S. 89-92, hier S. 91.

24 Vgl. ebd.; vgl. Gäbler (wie Anm. 5).

25 Vgl. Neu (wie Anm. 23), S. 91.

Wahlnachlese 2017