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Die Interviews
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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 15
Die Jahre von 15 bis 20, das sind die schönsten Jahre, die ein
Mann hat. Und ich habe damals einen großen Hass gehabt
auf Deutschland. Aber heute will ich nicht mehr hassen.
Ich mache alles und ich spreche mit jungen Leuten, und es
ist nicht wichtig, ob es Deutsche oder Araber oder Russen
sind. Weil ich nicht glaube, dass man die Welt zum Hassen
erziehen kann. Man kann die Welt erziehen zur Liebe. Man
soll seinen Nächsten nicht hassen oder töten.
Der Traum wird real
Als er in Israel angelangt war, trat er zusammen mit seiner
Frau Aviva der Organisation Bricha bei, die Juden half, nach
Israel zu gelangen.
Als der Staat Israel gegründet wurde, 1948, das war der
schönste Tag in meinem Leben. Wenn einer träumt, und
der Traum ist plötzlich real, das ist – ich habe mein ganzes
Leben davon geträumt, dass Israel einmal der Staat der
Juden sein wird.
Zum Abschied sagte er uns:
Ich will euch ein schönes
Leben wünschen. Das ist mir die wichtigste Sache. Damit
ihr ein schönes Leben habt und das machen könnt, was
ihr wollt. Mit eurem Leben soll nichts Schlimmes passie-
ren. Und seid euch gegenseitig eine Hilfe, das ist wichtig.
Ich habe Glück gehabt im Leben. Glück.
Protokoll: Magdalena Freckmann, Cathy Hu, Annika Schmidt
Lea Jacobstamm: Wir hatten großes Glück
Lea Jacobstamm wurde 1924 in Trier an der Mosel gebo-
ren. Sie entstammt dem jüdischen Bildungs- und Großbür-
gertum. Die ersten vier Schuljahre ging sie auf eine Privat-
schule zur Vorbereitung auf das Mädchenlyzeum. Aufgrund
des dort schon verbreiteten Antisemitismus schickte ihr Vater
sie jedoch auf die jüdische Volksschule. Im Januar 1936 wan-
derte sie mit ihrer Familie nach Palästina aus. 1943 heiratete
sie einen Berliner Hilfspolizisten und gründete mit ihm eine
Familie. Sie arbeitete als Röntgenassistentin und reiste später
häufig nach Deutschland.
Ich mache nicht „Heil Hitler!“
Ich hatte eine sehr glückliche Kindheit, zusammen mit mei-
nem Bruder. Wir wohnten in Trier in einem großen Haus.
Mein Vater hatte dort seine Praxis, meine Mutter arbeitete als
Augenärztin. Ich habe von dem Antisemitismus so gut wie
nichts mitgekriegt. Nur ein einziges Mal, da gab es so eine
Parade, da kamen sie mit Orchester und in Uniformen und
der BDM und dann kamen sie mit Fahnen und alle mach-
ten: „Heil Hitler!“ Da habe ich gesagt: „Ich bin im
Habonim
,
ich denke nicht daran, ich werde doch nicht ‚Heil Hitler!‘
machen. Das kommt überhaupt nicht in Frage.“ Und plötz-
lich bekam ich eine Ohrfeige, dass ich alle fünf Finger im
Gesicht gesehen habe, ich drehe mich um, steht hinter mir
ein Riesen-SS-Mann. „Warum hast du nicht den Hitlergruß
gemacht?“ Ich habe ihm keine Antwort gegeben, habe die
Beine in die Hand genommen und bin davongelaufen. Da
war ich zehn, jedenfalls war ich schon in der Jugendbewe-
gung. Also, ich werde doch nicht „Heil Hitler!“ machen.
Im Habonim erfuhr Lea Jacobstamm, wie die jüdischen Pio-
niere in Palästina lebten.
Man hat uns einen Propagandafilm von Palästina gezeigt.
Diesen Film werde ich in meinem Leben nicht vergessen.
Wie wir die Kibbuzim und die Dörfer gesehen haben und
wie sie die Straßen bauen und wie es hier damals ausgese-
hen hat. Tel Aviv war noch verhältnismäßig jung, das ist
erst 1909 entstanden. Und natürlich Jaffa und Jerusalem.
Wir waren alle begeistert.
Meine Eltern haben „Mein Kampf“ gelesen
Meine Eltern haben zusammen studiert, sie haben zusam-
men das Buch von Theodor Herzl gelesen, aber sie haben
auch das Hitler-Buch gelesen, „Mein Kampf“. Und daraus
hat mein Vater entnommen, dass es für die Juden besser
ist, Deutschland zu verlassen. Deshalb hat er alles dafür
Lea Jacobstamm
Foto: Christian Oberlander