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Die Interviews

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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 15

wir waren aber zusammen in einer Art Vorbereitungslager.

Das Vorbereitungslager war in Wien, aber es wurden nicht

alle mitgenommen. Man hat ausgesucht, wen man mit-

nimmt; warum man uns ausgewählt hat und nicht einfach

alle Kinder mitgenommen hat, das weiß ich nicht.

Wir sind einen Tag mit der Eisenbahn gefahren und

dann sieben Tage mit dem Schiff. In Palästina wurden wir

dann in ein Kinderheim in der Nähe von Haifa gebracht

und ich war dort ungefähr vier, fünf Jahre lang. Wir soll-

ten sofort aufhören, deutsch zu sprechen, um uns an die

neue Sprache zu gewöhnen. Wir haben das zwar nicht

unbedingt gemacht, aber die Betreuer haben viel hebrä-

isch mit uns geredet und so haben wir die Sprache gelernt.

Ich war mit einigen anderen Kindern auf einem Zimmer,

aber ich war nicht daran interessiert, bei anderen Kindern

zu sein, ich wollte bei meinen Eltern sein.

Die Eltern bleiben zurück

Meine Eltern haben mir noch bis 1942 Briefe geschrieben

und gesagt, dass sie nachkommen würden, aber danach

nicht mehr. Sie wurden in Wien in ein

Judenhaus

umge-

siedelt. Die Fluchthelfer haben von allen Familien zuerst

die Kinder verschickt, aber sie sind dann nicht mehr dazu

gekommen, meine Eltern zu schicken. Ich selbst konnte

nicht zurückschreiben. Ich bekam sogar einen Brief

von Verwandten, die schrieben, meine Eltern seien sehr

besorgt, weil ich nie zurückschrieb, aber es wurden keine

Briefe nach Deutschland zugelassen. Die Briefe habe ich

immer noch. Meine Eltern wurden verschleppt, ich habe

sie nie wieder gesehen. Das war eine sehr schwere Zeit für

mich, ich habe meine Eltern furchtbar vermisst. Ich habe

sie nie wieder gesehen, und ich war damals ja erst zwölf,

ich war so jung.

Krieg und Frieden in Israel

Auch in Israel haben wir die Auswirkungen des Krieges

mitbekommen. Zum Beispiel hatten wir in dem Kinder-

heim, in dem ich war, einen Bunker im Keller, in den wir

bei Luftangriffen gehen mussten. Später bin ich weg von

dort und habe als Haushälterin gearbeitet, damit ich Geld

sparen konnte, um bei einem Lehrerseminar mitzumachen.

Ich hatte ja niemanden, der mir das zahlen konnte. Ich gab

Unterricht in Hauswirtschaft und wurde schließlich stellver-

tretende Schuldirektorin. Ich wohnte lange Zeit in Haifa.

MeinenMann habe ich beimMilitär kennengelernt. Ich war

ja auch im Militär, als Funkerin. Mein Mann wurde in der

Bukowina geboren, er ist nach dem Krieg illegal nach Israel

gekommen. Mein Bruder war sehr lange in einem Kibbuz,

ich bin sehr oft auf Besuch gekommen, aber ich habe dort

nie gewohnt. Das hätte ich auch nicht wirklich gewollt.

Mit den Söhnen in Österreich

Ich war nach dem Krieg noch einmal in Österreich. Der

Bürgermeister von Wien wollte mich sogar einladen, aber

ich habe gesagt: „Wenn ich komme, dann komme ich allein.

Man braucht mich nicht einzuladen.“ Ich war dort mit mei-

nen Söhnen und habe ihnen gezeigt, wo ich früher gewohnt

habe, aber wir sind nicht in die Wohnung hinauf gegangen.

Aus Österreich vermisse ich vor allem die Wälder, die

Seen. Und Blaubeeren. Die gibt es hier nicht.

Protokoll: Sandra Lörentz, Rafael Schütz, Leonie Weißweiler

Jitzchak Bronstein: Ich kann es kaum ein

Leben nennen

Jitzchak Bronstein stieß als letzter Interviewpartner zu die-

sem Projekt. Da er im Januar 2013 noch nicht im Altenheim

wohnte, konnte er an der ersten Interviewrunde nicht teil-

nehmen. Als ein Teil unserer Gruppe aber erneut nach Ramat

Gan reiste, erfuhren wir von ihm, dass auch er sich gerne an

diesem Erinnerungsprojekt beteiligen wollte. Dieses Interview

wurde deshalb im Juli 2014 per Mail geführt.

Ich wurde am 11. Februar 1928 in Isky in der damali-

gen Tschechoslowakei, heute Ukraine, geboren. Meine

Kindheit verlief glücklich und friedlich, bis ich mein elftes

Lebensjahr erreicht hatte. Mit Beginn des Zweiten Welt-

krieges wurde ich mit Verfolgung und Ausgrenzung kon-

frontiert, aufgrund meines jüdischen Glaubens wurde ich

mit 18 Jahren 1944 schließlich in das Konzentrationslager

Mauthausen

in Österreich deportiert. Von dort aus kam

ich später in das in der Nähe gelegene

KZ Gusen.

Der Alltag im KZ bestand aus schwerster körperlicher

Arbeit: Zwölf Stunden täglich musste ich in Erd- und

Steinwerken schuften. Es mangelte zudem an Essen, Medi-

zin und Kleidung. Nach einigen Wochen unter diesen

Bedingungen verlor ich die Hoffnung auf eine Zukunft.

Es war die schwerste Zeit in meinem Leben. Man kann es

kaum ein Leben nennen.

Als am 4. Mai 1945 die Amerikaner die Häftlinge

befreiten, begab ich mich auf die Suche nach meinen