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Die Interviews

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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 15

später eine Arbeitsstelle in der Bibliothek in Tel Aviv ange-

nommen und hat dort bis zu ihrem 65. Lebensjahr gearbeitet.

Ich habe Tagebücher geschrieben, damit meine Enkel

Bescheid wissen

Gerade weil ihre Kinder und Enkelkinder wieder in Deutsch-

land leben und Familie Schütz auch des Öfteren in Deutsch-

land zu Besuch ist, ist es ihnen umso wichtiger, dass das

Geschehene weitererzählt wird.

Während meines ganzen Lebens habe ich Tagebücher

geschrieben, in denen ich alles niederschrieb, was ich erlebt

hatte. Meine Frau und ich denken, dass es sehr wichtig ist,

sich zu erinnern und nicht zu vergessen. Wir alle wissen,

was damals passiert ist, aber es gibt einen anderen Grund,

warum ich diese Tagebücher geschrieben habe, und zwar,

damit unsere Enkelkinder darüber Bescheid wissen, was

uns und unseren Familien damals passiert ist. Das ist näm-

lich eine Zeit, die man nicht vergessen soll. Auch wenn

es viele Menschen gibt, die sagen: „Das interessiert uns

nicht“ und „dagegen ist nichts zu tun“, interessiert es uns

aber sehr. Es ist wichtig, dass man über den Zweiten Welt-

krieg und den Holocaust nachdenkt.

Die Erinnerung hängt nicht von einem Ort ab

Wenn wir heutzutage in der Zeitung lesen, wieviel Geld

nötig ist, um Auschwitz zu restaurieren, dann denke ich,

dass das gar nicht so wichtig ist, weil wer das erlebt hat,

der braucht keine Erinnerung, und wenn jemand sich

dafür interessiert und nach Auschwitz geht und sieht, wie

es heute dort aussieht, der braucht auch keine Restaura-

tion, denn der möchte es so erleben, wie es war.

Warum wir uns erinnern sollten, hängt nicht von

einem Ort ab und ob er restauriert ist oder nicht, denn

wir gehen öfter zu Denkmälern und Gedenkstätten, ohne

ihre Bedeutung zu kennen und ohne über ihre Schönheit

nachzudenken. Wer sich also dafür interessiert, der achtet

nicht auf das Äußerliche, sondern findet einen Weg, sich

tiefer mit dem Gegenstand zu befassen und es zu verste-

hen. Das Wichtigste ist aber, dass er sich die Mühe macht,

das nicht zu vergessen.

Protokoll: Elisabeth Popov, Bianca Roth

Gabriel Schütz

Foto: Anja Schoeller

Rena Wiener: Ein Brot war eine Million wert

Bereits als Jugendliche verlor Rena Wiener Vater und Mut-

ter. Nach dem Krieg fand sie das Krematorium, in dem ihre

Mutter verbrannt worden war. Rena hatte einen Bruder

und zwei Schwestern. Ihr Bruder kam auf dem langen Weg

von Salzburg nach Theresienstadt ums Leben und ihre große

Schwester starb mit 23 Jahren im Ghetto an Tuberkulose.

Ihre andere Schwester war gegen Ende des Krieges die einzige

Familienangehörige, die Rena noch hatte. Aus dem Ghetto

in Lodz wurde Rena nach Auschwitz deportiert, von dort

musste sie nach Stutthof, ein KZ in der Nähe von Danzig

(heute Gdansk). Hier musste sie in einer Fabrik Zwangs-

arbeit leisten, bevor sie nach Dresden verschleppt wurde, von

dort später über Pirna nach Theresienstadt, wo sie in einem

Krankenhaus arbeitete. Nach der Befreiung machte sie in

Salzburg eine Ausbildung zur Krankenschwester und ging

anschließend nach Amerika, wo sie als Krankenschwester in

einem Kloster arbeitete. Nach zwölf Jahren in Amerika zog

sie nach Israel. Dort lernte sie ihren späteren Ehemann ken-

nen. Rena Wiener ist inzwischen verstorben.

Die Männer haben sehr geschrien

Es war am 1. September 1939, daran kann ich mich

genau erinnern, da ist der Krieg ausgebrochen. Wir

haben kurze Zeit später bei

Lodz

zum ersten Mal deut-

sche Soldaten gesehen. Sie sind in die Wohnungen hin-

eingekommen und die Leute wussten nicht, was sie woll-

ten. Ich glaube, die Deutschen wussten auch nicht, was

sie wollten. Sie wollten uns nur schlecht machen, das war

klar. Von manchen Wohnungen haben sie Dinge gestoh-