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„Und du siehst, dass du alleine bist.“

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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 15

„Und du siehst, dass du

alleine bist.“ 

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Zu den Begegnungen zwischen jüdischen Überlebenden und deutschen Jugendlichen

von Gudrun Brockhaus

Mit Spannung, so die Initiatoren des Projektes, hätten sie

sich gefragt, ob ein Aufeinandertreffen von Holocaust-

Überlebenden mit deutschen Jugendlichen in einem isra-

elischen Altenheim „überhaupt funktionieren könne“ –

was immer man sich unter einem „funktionierenden“

Treffen vorstellen mag.

Und im Folgenden wird dann klarer, dass die Spannung

weniger eine neugierige Aufregung vor einer Reise in die

Fremde war. Vielmehr hatte die Aussicht auf das Treffen

zwischen den deutschen Gymnasiasten und den jüdischen,

deutschsprechenden Überlebenden in dem israelischen

Altenheim im Vorhinein „Bedenken“ und fast etwas wie

Angst ausgelöst. „Ist das machbar?“ Das hätten sich die

begleitenden Lehrer, die Eltern, Kollegen, Freunde, aber

auch die beteiligten Schülerinnen und Schüler gefragt –

funktioniert es, ist das machbar – was soll denn funktionie-

ren, machbar sein? Die technische Sprache überspielt viel-

leicht eine emotionale Unsicherheit und das Gefühl einer

drohenden „Überforderung“, die mit den Begegnungen

zwischen den Täternachfahren und den jüdischen Verfolg-

ten verbunden ist und die von den begleitenden Lehrern

schließlich offen als emotionale Belastung bezeichnet wird.

Ein Grund für diese Ängste ist, dass schon im Vorfeld klar

ist, die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus dem deutsch-

sprachigen Altenheim „würden uns dort von ihren erschre-

ckenden Erlebnissen während der Zeit des „Dritten Reichs“

4 So Leopold Yehuda Maimon über seinen ersten Tag in Krakau nach seiner

Flucht aus Auschwitz. Vollständig lautet das Zitat: „In Auschwitz lebst du

von einer Stunde zur zweiten. Aber es war der erste Tag und du bist frei.

Deine Stadt. Und du siehst, wie schrecklich die Lage ist. Dass du alleine

bist.“, vgl. S. 22.

erzählen“. Da die Interviews sich auf die Verfolgungserfah-

rungen in Deutschland konzentrieren sollen, ist von vorn-

herein klar, was man zu erwarten hat, rechnet man schon

mit dem eigenen Erschrecken. Aber es ist nicht nur der

vermutlich bedrückende Inhalt der Gespräche, der „ner-

vös“ macht, sondern mehr noch die zwischenmenschliche

Situation, die „schwierige Gesprächssituationen für beide

Gesprächsparteien“: „ein Aufeinandertreffen von Alt und

Jung, von Holocaust-Opfern und der dritten Generation

der ‚Täter‘“. Die Art der erwarteten Schwierigkeit deuten

die sprachlichen Formulierungen an: Es geht um „Parteien“,

die Formulierung „Aufeinandertreffen“ lässt an das Aufein-

anderprallen von zwei gegensätzlichen, ja antagonistischen

Welten denken. Es ist nicht einmal selbstverständlich zu

erwarten, dass die Nachfahren der Täter überhaupt zu

Gesprächspartnern werden: Nur zu gut würde man verste-

hen, wenn die jüdischen Holocaustüberlebenden überhaupt

nicht mit einem reden würden, man bangt, ob sie die eigene

Wertschätzung und den Respekt wahrnehmen werden. 

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Verunsicherung und Erschütterung ergreifen wohl

jeden, der mit den Opfern von Massakern und Massen-

vernichtung konfrontiert ist. Für die begleitenden Lehr-

kräfte Uschalt und Braune hatten die Verfolgungsberichte

eine Qualität, die „uns für immer im Gedächtnis bleiben“

wird. Die Berichte der Überlebenden, ihre sichtbaren und

spürbaren Wunden und Traumata rücken uns die gern

5 „Wie sollen wir in Israel auftreten? Wie sollen wir unsere Wertschätzung

zeigen, dass wir zu Besuch sein dürfen, unseren Respekt davor, dass uns

diese Geschichten erzählt werden? Wird man mit uns Deutschen spre-

chen? So würden wir es doch selbst zu gut verstehen, wenn man nicht mit

uns reden wollte.“