|41 |
aviso 2 | 2016
FREMDE, IN DER FREMDE
WERKSTATT
Figur ist selbstverständlich Shylock, der rachsüchtigeWucherer in Shakes
peares
Kaufmann aus Venedig
.) Dickens war wohl gar nicht bewusst,
was er da angerichtet hatte; und nach einem Briefwechsel mit Eliza
Davis – einer Freundin, die Jüdin war – entschloss er sich, dass ›Fagin
the Jew‹ in einer Neuausgabe an den meisten Stellen nur noch ›Fagin‹
heißen sollte, ohne jeden Zusatz. Axel Monte hat in seiner Übersetzung
das Wort ›Jude‹ nun ganz weggelassen. Die interessante Entdeckung
ist, dass dies überhaupt möglich war. (Beim Shylock wäre es das nicht,
der spricht ständig von seinem ›jüdischen‹ Hass auf die Christen, die
ihn umgeben.) Die ethnische Kennzeichnung ›Jude‹ ist bei Faginmithin
so etwas wie ein aufgemalter Schnurrbart – man kann sie wegwischen,
ohne etwas zu verlieren.«
ETWAS SKEPTISCHER SIEHT
es die Berliner Zei
tung. Dort heißt es: »Oliver Twist wurde von Axel
Monte in pointenreiches, nicht flapsiges Deutsch
gebracht. […] Monte erlaubt sich einen gravieren
den Eingriff: Er erwähnt nicht, dass der Schurke
Fagin Jude ist. Im sehr interessanten Nachwort
erklärt er, wie Dickens später selbst dran knabbert,
trotzdem überzeugt das nicht recht.« Leider wird
nicht verraten, warum das nicht überzeugt.
In der Frankfurter Rundschau vom selben Tag wird
der vermutlich gleiche Autor bzw. die Autorin ein
wenig deutlicher: »Dickens zweiter Roman (1837
bis 1839) wurde unter anderem von GustavMeyrink
übersetzt. Wer einmal exemplarisch das Kapitel von
der Verurteilung Fagins liest – ›Es war das Freuden
geschrei des Volkes draußen, womit es die Nach
richt begrüßte, dass der Jude am Morgen sterben
werde‹ – registriert nicht nur Meyrinks gediegenen
altertümelnden Stil.« Hier irrt der Rezensent. Bei
Meyrink kommt diese Stelle gar nicht vor, sie ist
seinen Kürzungen zum Opfer gefallen. Der Leser,
so der Rezensent weiter, »begreife auch, was es
bedeutet, dass Axel Monte in seiner Neuübersetzung
Fagin nie als Juden bezeichnet. Sein Argument, dass
›die entsprechenden Phrasen heute – nach Pogro
men und Holocaust – nicht mehr das Bild vom pit
toresken Bühnenjuden heraufbeschwören, sondern
sich wie antisemitische Hetzpropaganda lesen‹, ist
fraglich. Genauso könnte man sagen, dass man ge
rade deshalb der Originalversion ins Auge schauen
sollte. Monte erklärt auch – zeitgeschichtlich mit
Blick auf die Emanzipation der Juden hochinteres
sant –, dass schon Dickens nacharbeitete: Für eine
spätere Druckfassung strich er das ›Jude‹ mehrfach,
bei seinen Lesungen in Amerika mied er es ganz.
Montes Übersetzung ist insgesamt pointenreich,
ohne flapsig zu sein und lebhaft genug, dass selbst
der blasse Oliver Farbe bekommt. Ihre Grenzen
liegen im Buch selbst. Dickens wird noch kühner
werden. Die Anmerkungen bieten feinste englische
Kulturgeschichte.« (ith.)
»DER ORIGINALVERSION INS
Auge schauen« –
das wollen wir gerne sogleich tun, und zwar bei
dem zitierten Satz aus der fälschlich als »Meyrink
sche« bezeichneten Übersetzung. Dort heißt es
bei Dickens: »It was a peal of joy from the popu
lace outside, greeting the news that he would die
on Monday.« Also keine Rede vom »Juden«, und
es ist wohlgemerkt auch keine der besagten Stel
len, an der Dickens das Wort später gestrichen hat,
weil es eben schon in der ursprünglichen Fassung
gar nicht vorkommt. Bleibt nur die Möglichkeit,
dass Kolb das Wort »Jude« eingefügt hat, so wie
ich es anderswo gestrichen habe. Es drängt sich
zuweilen der Verdacht auf, die Leser möchten ein-
So begann meine Beziehung zu einem Kind der Vorsehung,
wie man sagt … und damit die Umstände, die mein eige
nes Schicksal bestimmen sollten. Mit meinen Geschäften
ging es bergab und ich beriet mich mit jack Dawkins,
dem besten meiner jungs.
Hör zu, Jack …
die Geschäfte laufen schlecht!
… Wir haben durch Krankheit und
- ahem -
das Auge des Gesetzes
einige unserer wichtigsten Jungs
verloren … Du musst neue
Kumpanen herbeischaffen!
Klar, Fagin
… kannst auf
Jack Dawkins
zähl’n! … Der
lässt dich nie
im Stich!
68
_EGN_ICH_BIN_FAGIN.IND7 68
07.07.15 16:01
oben
Will Eisners zeichnerisches Porträt des Fagin in seiner Graphic Novel »Fagin
the Jew« von 2003, in der Übersetzung von Axel Monte, herausgegeben bei Eg-
mont 2015.