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aviso 2 | 2016

FREMDE, IN DER FREMDE

WERKSTATT

Fagin!

Dies ist mein

Freund

Oliver …

Er ist unser neu-

er Kumpane!

Ahhh

Willkommen,

willkommen,

willkommen!

Hier, mein

Jungchen, iss, so

viel du willst! …

Das wird dir den

Magen wärmen.

Hier … Fagin!

Das ham wir

heute „einge-

sackt”.

Ho Ho Ho! …

Da habt ihr wirklich

gute Arbeit geleistet

… Jungs!

Da

zahlste

uns gut

für, was?!

Aber klar, ihr braven

Jungs … Das mach ich

doch immer, oder? Hier …

hier!

Und jetzt gehst

du bei uns in die Lehre,

mein kleiner Oliver!

Pass gut auf, Junge

… ja!!

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07.07.15 16:01

fach, dass der Schurke Fagin ein Jude ist, sie möchten, das

er jiddelt, sie suchen darin das »Tümelnde«, was ihnen –

warum auch immer – ein behagliches Gefühl verschafft. So

bewirbt zum Beispiel der Hörbuchverlag 123Classic seine

Oliver Twist

-Ausgabe wie folgt: »Bei den Übersetzungen des

Werkes aus dem Englischen gibt es deutliche Unterschiede.

Als die wahrscheinlich beste Übersetzung gilt die von Gustav

Meyrink, welche die Vorlage für das Hörbuch lieferte. Die ›alte‹

Sprache des 1868 in Wien geborenen Meyrinks erweckt die

Zeit des Manchester Kapitalismus, in der

Oliver Twist

spielt,

wieder zum Leben. Besonderen Charakter haucht Meyrink

den Protagonisten zudem ein, indem er ihnen in den Dia­

logen verschiedene Dialekte zuweist. Für den Schauspieler

und Sprecher Frank Stöckle ist der Roman eine Fundgrube

für sprachliche Finessen: Seine feinen Interpretationen der

meyrink‘schen Dialekte verleihen den Romanfiguren Indivi­

dualität, Charme und Sprachwitz.«

ENTSPRECHEND WIRD DIES

von den Lesern goutiert, wie

man einer Kundenrezension zur Meyrinkschen Übersetzung

in der Ausgabe von dtv bei Amazon entnehmen kann: »Was

mir vor allem gefallen hat war, dass die Textpassagenmancher

Personenmit Akzent geschrieben wurden und dem ganzen so

noch etwas mehr Atmosphäre geben. Besonders gut kommt

das meiner Meinung nach bei dem jiddischen Akzent von

Fagin (›dem Juden‹) rüber.« Zumindest eine Besprechung

macht eine Ausnahme, sie lobt ausdrücklich die »Dialekt­

freiheit« meiner Neuübersetzung: »Wo vormalige deutsche

Übersetzungen hilflos hinter der Eleganz der Dickensschen

Formulierungen zurückbleiben und diese in gestelzte, um

Witzigkeit bemühte Ungetümer verwandelten (teilweise mit

grässlichem bayerischem Dialekt?!), stellt sich die neue, zeit­

los anmutende Übersetzung als äußerst lesbar – mit großem

Suchtfaktor – und doch authentisch dar.« Die vierte Rezen­

sion schließlich, die sich mit dem Thema auseinandersetzt,

wurde von einem Edwin Baumgartner verfasst und erschien

am23.12.2011 in der Wiener Zeitung. Betitelt ist sie mit »Der

verschwiegene Antisemitismus«. Wer daraus ableitet, im fol­

genden Artikel würde aufklärerische Arbeit geleistet, um

bisher verborgene antisemitische Hetze aufzudecken, wird

jedoch enttäuscht werden. Tenor ist stattdessen das ebenso

abgedroschene wie verlogene »man wird doch wohl noch

sagen dürfen«. »Verlogen«, weil ja jeder sagen darf. Der Bei­

trag behandelt zwar weitere Fälle antisemitischer Stellen bei

britischen Autoren (Christopher Marlow, William Shakes­

peare, Oscar Wilde und Agatha Christie), aber Anlass und

Hauptstoßrichtung bildet meine damals gerade neu erschie­

nene Neuübersetzung von

Oliver Twist

.

Das »verschwiegen« in der Überschrift ist schon deshalb

gelinde gesagt irreführend, da ich, soweit mir bekannt, der

erste Übersetzer bin, der sich explizit mit diesem Thema bei

Oliver Twist

auseinandergesetzt und das im Nachwort offen

dargelegt hat. Der Rezensent hat zudem eine recht einfältige

Vorstellung vom »korrekten« Übersetzen; das geht nämlich

so: »Übersetzen, was der Autor geschrieben hat. Was sonst?«

Die zahlreichen eklatant unterschiedlichen Übersetzungen

(nicht nur von Dickens) lassen sich mit solch schlichter Maxi­

me, nach der es ja nur eine gültige eins zu eins Übersetzung

gäbe, freilich nicht in Übereinstimmung bringen. Das Urteil

der Wiener Zeitung lautet jedenfalls: »Solches Werk zu tun

steht einemÜbersetzer, auch nach Auschwitz, nicht zu.« Am

Ende der Rezension wird dann jedoch dieMeinungsfreiheit in

Großbritannien gepri sen, die sich auch auf zwielichtige Ge­

stalten wie David Irving erstreckt. Diesem steht es also durch­

aus zu – »auch nach Ausschwitz« –, denHolocaust zu leugnen.

Fagin zum Zweiten

Einige Jahre später folgte dann eine Art ironisches Nach­

spiel. Während meiner Arbeit an

Oliver Twist

stieß ich auf

Will Eisners (1917-2005) Graphic Novel

Fagin the Jew

, worin

der Schurke die Geschichte aus seiner Sicht erzählt. Von die­

sem Buch war ich so angetan, dass ich es gerne zugleich mit

Oliver Twist

auf Deutsch veröffentlicht hätte. So sehr ichmich

jedoch bemühte, ließ sich erst einmal kein Verlag dafür finden.

Ob es daran lag, dass es im Buch um Juden und Antisemitis­

mus geht, vermag ich nicht zu sagen. Jedenfalls war meiner

Verlagssuche erst 2014 Erfolg beschieden. Die Übersetzung

erschien dann im September 2015 bei Egmont.

IN DIESEM FALL

ist der Antisemitismus eindeutig Thema

des Buches. Eisner hat sich in seinem Spätwerk darauf kon­

zentriert, der Entstehung und Auswirkung von Antisemitis­

mus und Vorurteilen nachzuforschen, neben

Fagin the Jew

(2003) auch in seinem letzten Werk

The Plot

(2005), in dem

es um die gefälschten Protokolle der Weisen von Zion geht.

Hier stand für mich also außer Frage, Bezeichnungen wie

Ausschnitt aus Will Eisner, Ich bin Fagin. Köln, 2015, mit freundlicher Genehmigung von Egmont Graphic Novel