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aviso 2 | 2016

FREMDE, IN DER FREMDE

WERKSTATT

Der Theologe, Ethnologe und Indologe

Dr. Axel Monte

ist als Übersetzer, Herausgeber und Autor tätig. Seit 2009

gibt er die Schriftenreihe »Books Ex Oriente« heraus. Er

übersetzte Autoren der angelsächsischen Weltliteratur wie

Charles Dickens, D.H. Lawrence, R.L. Stevenson oder Virginia

Woolf und der indischen und islamischen Geisteswelt wie

Rabindranath Tagore, Muihammad Iqbal oder Rumi. 2014

erhielt er das Übersetzerstipendium des Freistaats Bayern.

Zum Weiterlesen

Marica Bodroži´c, Mein weißer Frieden.

Luchterhand, München 2014.

Charles Dickens, Oliver Twist. Deutsch von Gustav Meyrink.

Diogenes, Zürich 1982;

Charles Dickens, Oliver Twist. Norton Critical Edition. W. W.

Norton, London 1993.

Charles Dickens, Oliver Twist oder der Werdegang eines

Jungen aus dem Armenhaus. Aus dem Englischen übersetzt,

mit Anmerkungen und Nachwort von Axel Monte.

Philipp Reclam jun., Stuttgart 2011.

Will Eisner, Ich bin Fagin. Die unerzählte Geschichte aus

Oliver Twist. Aus dem Englischen von Axel Monte.

Egmont Graphic Novel, Köln, 2015; hier auch das Nachwort

von Jet Heer.

.

»Jude« als zum inhaltlichen Verständnis des Buches unerläss­

lich beizubehalten. Nun änderte der Verlag aber ausgerechnet

den Titel von

Fagin der Jude

zu

Ich bin Fagin

, wozu er sich

vom Lizenzgeber auch das Plazet eingeholt hatte.

AUF MEINEN HINWEIS

, Fagin würde doch gerade als Jude

eine zentrale Rolle im Buch spielen, begründete der Verlag

seine Entscheidung damit, er wolle »den Fokus nicht so vor­

dergründig auf den Juden legen, zumal dies in Deutschland

ein sensibles und besonderes Thema ist, sondernmehr auf den

literarischen Bezug zu Charles Dickens’

Oliver Twist

und die

übergreifende kritische Betrachtung von rassistischen Stereo­

typen in Literatur und Comic.« Da ich diese perspektivische

Verschiebung aus Sicht des Verlags nachvollziehen konnte und

ansonsten keine weiteren Änderungen imText erfolgten – also

auch jedes »Jude« imBuchinnenteil erhalten blieb –, war ich

mit demneuen Titel einverstanden. Von den achtzehn Rezen­

sionen und Buchhinweisen, die mir bekannt sind, machen vier

eine Bemerkung zum geänderten Titel. So schreibt Andreas

Platthaus 19.10.2015 in einem Blog der Frankfurter Allge­

meinen Zeitung: »Oder nun auf Deutsch: Ich bin Fagin. Die

alles andere als wörtliche Übersetzung führt mitten hinein in

das, worum es Eisner ging. Denn sein knapp hundertzwan­

zigseitiger Comic nahm sich einer literarischen Figur an, die

als Inbegriff eines antisemitischen Klischees gilt: dem Ban­

denchef Fagin aus Charles Dickens 1837/38 in Fortsetzungen

erschienenem Roman

Oliver Twist

. Dieser Fagin erscheint

darin fast ausschließlich als ›Fagin the Jew‹ oder auch nur

›the Jew‹, bis Dickens selbst den Roman dreißig Jahre nach

der Erstpublikation überarbeitete und das Attribut fast über­

all strich. Aber da war das Buch längst schon so erfolgreich,

dass die Figur Fagin in aller Gedächtnis war. […] Auch heute

noch scheut man in Deutschland, wie die Übersetzung von

Eisners Buchttitel zeigt, vor der pauschalen Bezeichnung als

›der Jude‹ zurück. Mit

Ich bin Fagin

hat der Egmont Verlag

eine exzellente Lösung gefunden, dennmanmuss diesen Titel

lesen als eine Absetzung von Dickens: ›Ich bin Fagin‹, sagt

die Hauptfigur aus Eisners Band, der böse Mann aus dem

Roman ist es nicht, denn er ist reines Klischee.«

Im Online-Kulturmagazin »Musenblätter« heißt es weniger

reflektiert: »In Charles Dickens’

Oliver Twist

von 1837/38

heißt die Figur des Hehlers und Bandenchefs, der Oliver aus­

beutet, abschätzig ›Fagin the Jew‹, ein Name, denWill Eisner

(1917-2005) plakativ für seine Graphic Novel über die Vor- und

Entwicklungsgeschichte des Fagin Moses als Titel übernom­

men hat. Er darf das, denn selber Spross jüdischer Vorfahren,

steht er außer Verdacht antijüdischer Hetze. Im Deutschen

geht das natürlich nicht, also kommt Eisners Story hier un­

ter dem Titel

Ich bin Fagin

auf denMarkt.« Einmal wird die

Änderung lediglich angemerkt: »In seinem 2003 entstande­

nen Comic

Fagin the Jew

(der deutsche Titel des Buch ist mit

Ich bin Fagin

alles andere als werkgetreu) erhält der Schurke

eine tragische Vorgeschichte […]«.

DER BUCHHINWEIS IM

Tagesspiegel vom 29.10.2015 lässt

jedoch schon allein durch die Formulierung und das Fehlen

jedweder weiteren Erklärung ein Ressentiment vermuten:

»Traurig nur, dass der so rehabilitierte Fagin im Titel der

nun vorliegenden deutschen Fassung,

Ich bin Fagin

, kein

Jude sein darf.«

An dieser Stelle ist es vielleicht sinnvoll, sich noch einmal zu

vergegenwärtigen, auf welche Weise Eisner dazu gekommen

ist, sich mit den Themen Rassismus und Antisemitismus

auseinanderzusetzen. In den 1940er Jahren hat Eisner in

seiner ersten großen und erfolgreichen Comicserie

The Spirit

(erschienen 1940-52) die afroamerikanische Nebenfigur Ebony

White (EbenholzWeiß) geschaffen, die »Neger-Dialekt« sprach

und Humor in die Detektivgeschichten bringen sollte. Das

schien Eisner in seinem»Bemühen umLeserschaft eine gute

Idee zu sein«. Dabei erkannte Eisner nach eigenemBekunden

nicht, dass seine »Darstellung von Ebony historisch betrachtet

imWiderspruch zu dem Zorn« stand, den er empfand, wenn

er »in Kunst und Literatur Antisemitismus entdeckte«. Erst

später begriff er, »dass es ›böse‹ und ›gute‹ Klischees gab, es

kam auf die Absichten an. Weil Klischees ein wichtiges Werk­

zeug in der Sprache des graphischen Geschichtenerzählens

sind, obliegt es den Comicautoren, seine Auswirkungen auf

die öffentliche Meinung zu erkennen«.

WOMIT WIR WIEDER

beimoben erörterten verantwortlichen

Umgang mit Sprache wären. Und dieser verantwortliche Um­

gang wird – um ein Fazit zu ziehen – auch weiterhin mein

entscheidendes Kriterium beimÜbersetzen sein. So kann es

geschehen, dass ich das Wort »Jude« einmal streiche, weil es

rein diffamierend ist, so wie in

Oliver Twist

, es ein anderes

Mal jedoch als wesentlich für die erzählte Geschichte betrachte,

wie bei

Fagin the Jew

, wo ja lediglich der Titel geändert wurde.

Und ich werde mir weiterhin weder von der Ideologie der

politisch Korrekten noch von der ihrer Gegner vorschreiben

lassen, wie in diesen Fällen zu verfahren ist. Es geht nicht um

richtig oder falsch, sondern um Angemessenheit.

links

Will Eisners zeichnerisches Porträt des Fagin in seiner Graphic

Novel »Fagin the Jew«.