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Die Interviews
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Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 15
vorbereitet. Im Januar 1936 haben wir Deutschland ver-
lassen und am 3. Februar sind wir mit dem Schiff in Haifa
angekommen. Ich war natürlich sehr glücklich: Ich komme
nach Palästina, was werde ich jetzt alles erleben, was werde
ich jetzt alles sehen? Ich hatte großes Glück, noch aus
Deutschland rauszukommen. Vor allen Dingen, dass ich
mit meiner ganzen Familie herkommen konnte. Denn die
Leute, die hier im Altenheim sind, sind keineswegs alle mit
ihrer ganzen Familie gekommen. Sie mussten ihre Eltern
in Deutschland zurücklassen. Nur bei manchen sind die
Eltern dann noch nachgekommen.
„Jemand Neues“ in Palästina
Die Reise dauerte damals fünf Tage. Ich war fürchterlich
seekrank und ich lernte dort ein Mädchen kennen, die
genauso seekrank war wie ich, und unsere Mütter pack-
ten uns auf dem Deck in Liegestühle mit Decken. Auf
dem Schiff war eine Gruppe
Jugend-Alijah
. Die haben sich
zu uns gesetzt und versucht, uns zu trösten; und am letz-
ten Abend, das werde ich nicht vergessen, haben wir alle
zusammen
Horo
getanzt, das haben wir im Nu gelernt.
Das Horo-Tanzen, das ist ganz schön, wenn man Kind ist,
dann kann man das wunderbar, nur wenn man älter wird,
dann tun einem die Beine nach einer Weile weh, da geht
es nicht mehr. Denn da wird nur gesprungen und getanzt;
und den Kapitän haben wir geholt und den Ersten Offi-
zier, der musste mitmachen und das war wunderbar. Die
Reise auf dem Schiff war herrlich, da war ich ganz begeis-
tert, die Reise auf dem Schiff war wunderbar. Nur dass ich
seekrank wurde, das war schrecklich.
Einmal in Palästina angekommen, ließ sich die Familie in
Tiberias am See Genezareth im arabischen Viertel nieder.
Mein Vater sagte: „Ich bin zwar Zionist, aber Straßen
bauen oder landwirtschaftlich arbeiten kann ich nicht, ich
kann nur als Arzt arbeiten.“ Er hat dann gleich ein Rönt-
geninstitut über Freunde gekauft. Für die Araber war er,
der
Hakim
, ein sehr wichtiger Mann. Bei den Unruhen
1936 haben sie dafür gesorgt, dass uns nichts passiert.
Als sie in Palästina in die Schule kam, konnte Lea
Jacobstamm noch kein Hebräisch.
Und dann kamen die Kinder aus den Klassen, da haben
sie mich gesehen: „Ah, jemand Neues.“ Und dann habe
ich gesagt:
„Aniloia da at ivrit“,
das heißt: „Ich kann kein
Hebräisch.“ Darauf fingen sie prompt an, Jiddisch und
Englisch mit mir zu sprechen. Und der Klassenlehrer hat
nachher zu den Kindern gesagt: „Wenn Ihr mit der Lea
nicht Hebräisch sprecht, wird sie es nie lernen.“ Aber sie
haben sich das natürlich nicht nehmen lassen und haben
weiter Jiddisch und Englisch mit mir gesprochen.
Nach dem Beenden der Volksschule besuchte sie im
Süden eine landwirtschaftliche Schule in einem Kibbuz.
Das Ehepaar meinte nur: „Was wird man mir schon
machen?“
Als ich mit 19 Jahren meinen Mann kennengelernt habe,
da hat er mir erzählt, dass seine Mutter und sein jüngerer
Bruder 1942 nicht mehr aus Deutschland rausgekommen
sind. Sie wurden nach Warschau geschickt, ins Ghetto. Der
letzte Brief von seiner Mutter kam von dort. Wir sind spä-
ter einmal nach Jerusalem gefahren, nach Yad Vashem, und
dort gab es Listen von den Leuten, die in den Lagern waren.
Da haben wir erfahren, dass sie in Treblinka umgekommen
sind. Sowohl seine Mutter wie auch sein kleiner Bruder.
Warum und wieso sie nicht mehr rausgekommen sind, ist
uns nicht klar, keiner von uns beiden hat das je richtig ver-
standen. Bereits während des Krieges habe ich von den Kon-
zentrationslagern gehört. Ich wollte das nicht glauben. Ich
habe gesagt: „Wie ist so etwas möglich, das gibt es doch gar
nicht.“ Nachher habe ich die Bilder gesehen, es war schreck-
lich, ich war sehr geschockt. Aber Tatsache ist Tatsache, was
gewesen ist, ist gewesen. Später erfuhren wir dann noch, was
mit meinem Großvater väterlicherseits geschehen ist. Groß-
vater Steinberg hat uns im April 1936 besucht und meine
Eltern und mein Bruder haben sich den Mund fusselig gere-
det: „Bleib hier, bleib hier, fahr nicht wieder zurück, bleib
hier!“ Er sagte, nein, er hat in Köln seinen Skatklub und
seine Freunde und er hat dort ein gutes Zuhause und er will
nicht hierbleiben, unter keinen Umständen. Er meinte nur:
„Was wird man mir schon machen, ich bin ein alter Mann,
Ein Jugendporträt aus Lea Jacobstamms Fotoalbum
Foto: privat